Staatsverschuldung
Allerdings sind nicht alleAusgaben des Staates zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit konjunkturbedingt, da ein Teil der Arbeitslosigkeit in Deutschland nicht konjunktureller, sondern struktureller Natur ist.
– Die Anzahl der beschäftigten Arbeitnehmer im öffentlichen Dienst ist grundsätzlich nicht konjunkturabhängig, da der Staat unabhängig von der Konjunktur entscheidet, wie viele Personen er beschäftigt. Allerdings sind die Personalkosten des Staates zumindest teilweise von der Konjunktur beeinflusst, da die Lohnentwicklung im öffentlichen Dienst derjenigen des privaten Sektors folgt – eine Konjunkturkrise kann also theoretisch auch die Personalausgaben des Staates dämpfen.
Rechnet man diese konjunkturbedingten Einflüsse aus dem Staatshaushalt heraus, so erhält man den konjunkturbereinigten Saldo, also ein um alle konjunkturellen Effekte bereinigtes Haushaltsdefizit. Nun muss man in einem dritten Schritt die dauerhaft akzeptable Kreditfinanzierung abziehen – das ist in der Konzeption des Sachverständigenrats die investitionsorientierte Verschuldung, die im vorherigen Abschnitt bereits erläutert wurde[ 10 ]. Diese drei Bereinigungen nimmt der Sachverständigenrat vor, um das strukturelle Defizit zu bestimmen: Eliminieren einmaliger Effekte, Herausrechnen der konjunkturellen Effekte, Berücksichtigung der investitionsorientierten Verschuldung. Was dann übrig bleibt, ist das strukturelle Defizit. Tabelle 1 gibt einen Überblick über die Entwicklung des tatsächlichen Defizits, des strukturellen Defizits und des strukturellen Primärdefizits (also das strukturelle Defizit ohne die Zinsausgaben).
Tabelle I: Strukturelles Defizit der Bundesrepublik Deutschland in Prozent des nominalen Bruttoinlandsprodukts (2010 geschätzt); Quelle: (II).
Mit der investitionsorientierten und der konjunkturellen Verschuldung sowie der Verschuldung für einmalige Ereignisse haben wir also einige schwerwiegende Argumente, die eine Verschuldung des Staates rechtfertigen. Es handelt sich dabei um normative Konzepte, da sie Begründungen für eine als sinnvoll erachtete Staatsverschuldung liefern. Im nächsten Abschnitt stellen wir nun einige dem positiven Ansatz folgende Erklärungen vor, warum Staaten sich verschulden.
3. Staatsverschuldung im politischen Betrieb
Warum also verschulden sich Staaten? So genannte politökonomische Erklärungsansätze versuchen, die Entstehung von Staatsverschuldung über politische Prozesse zu erklären: Gibt es Mechanismen und Wirkungszusammenhänge im politischen Betrieb, die eine Zunahme der Staatsverschuldung provozieren? Hier gibt es einige sinnvolle Erklärungsansätze, auch wenn es schwierig ist, solche Ideen auf ihren Realitätsgehalt hin empirisch zu überprüfen.
Der Anfangspunkt jeder politökonomischen Analyse von Schulden besteht darin, dass Politiker ihre Politik nicht nur im Interesse des Gemeinwohls konzipieren, sondern auch mit Blick auf die nächsten Wahlen. Politiker wollen wiedergewählt werden, und um diese Wiederwahl zu erreichen, nehmen sie auch Schulden auf. Das mag zwar ökonomisch nicht immer vorteilhaft sein, ist aber politisch rational. Auf diesem Hintergrund gibt es vielfältige Erklärungsansätze für die Entwicklung der Staatsschuld und die Zusammenhänge zwischen politischen Parteien, Regierungskonstellationen und der staatlichen Kreditaufnahme.
Eine erste Idee besteht darin, dass Schulden eine attraktive politische Option sind: Die Regierung ist damit sofort in der Lage, höhere Sozialleistungen oder niedrigere Steuern oder was auch immer die Wähler wünschen, umzusetzen. Das schafft Pluspunkte für die Wiederwahl. Natürlich hat eine steigende Verschuldung auch negative Folgen, doch die Attraktivität der Verschuldungsoption liegt darin, dass die angenehmen Folgender Verschuldung – mehr staatliche Leistungen, geringere Steuern – für Bürger und Regierung unmittelbar sichtbar und fühlbar sind, während die negativen Begleiterscheinungen und Folgen der Verschuldung, die wir später noch ausführlich besprechen werden, erstens nicht unmittelbar eintreten und zweitens von der gesamten Bevölkerung getragen werden. Die Vorteile einer schuldenfinanzierten Erhöhung der Staatsausgaben oder Senkung der Steuern kann der Politiker direkt auf einzelne Personengruppen fokussieren, von denen er hofft, dass sie darauf entsprechend an der Wahlurne reagieren. Die Kosten der Verschuldung hingegen fallen der diffusen und vorab unbestimmten Allgemeinheit zur
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