Stadt der blauen Paläste
dass alles gesagt war, was hatte gesagt werden müssen. »Nur für den Fall, dass sich eines Tages jemand für sie interessiert.«
»Welche Bilder denn?«
»Die Bilder, die der Onkel gemalt hat. Die Bilder von unserer Familie. Und dann die Bilder, die Margarete gemacht hat. Diese lustigen Bilder von uns drei Frauen. Du kennst sie nicht, aber irgendwer wird ganz gewiss einmal wissen wollen, wer das war.«
Moise seufzte.
»Ja, ganz gewiss. Irgendwer. Irgendwann.«
Lea verließ das Haus, in dem sie die meiste Zeit ihres Lebens verbracht hatte, ohne sich noch einmal umzublicken. Sie trug ihr Bündel auf dem Rücken, obwohl Moise ihr angeboten hatte, sie zu der Stelle zu bringen, von der der Kaufmannszug aufbrechen würde. Am fondaco .
»Nur keinen Abschied«, hatte sie ebenfalls nahezu panisch abgewehrt, als Crestina angeboten hatte, sie in die Kutsche zu setzen. Wobei Crestina den Verdacht hatte, dass Lea verschleiern wollte, dass es sich um keine Kutsche handelte, sondern lediglich um einen Wagen, auf dem Waren transportiert wurden.
»Nur keinen Abschied. Abschiede sind das Dümmste, was sich irgendwer einmal ausgedacht hat. Bei den Indianern gibt es das überhaupt nicht. Die gehen einfach weg«, sagte sie mit aller Entschiedenheit.
Crestina schüttelte hilflos den Kopf.
»Bei den Indianern vielleicht, aber bei den Juden?«
Aber Lea schien in diesem Augenblick bereits weit weg zu sein von ihrer Heimatstadt und ihren Freunden. Und Crestina hatte den Eindruck, dass ihr in dieser Minute egal war, wofür sie von der ganzen Welt gehalten wurde. Für eine Indianerin oder eine Jüdin.
20. D ER M ORD IN DER › BAUTTA ‹
Crestina kannte die Frau nicht, die vor ihrer Tür stand. Sie konnte in ihrem Alter sein, war etwas zu vornehm gekleidet für diese frühe Morgenstunde und blickte sie verlegen an.
»Ihr werdet Euch ganz gewiss nicht mehr an mich erinnern«, sagte sie dann zögernd.
Crestina durchforschte ihr Gedächtnis nach einem Gesicht, das aussah, als wollte es gleich zu weinen beginnen, schüttelte dann irritiert den Kopf und öffnete die Tür.
»Wenn wir uns kennen, ist es besser, wenn wir uns im Haus unterhalten«, sagte sie dann und führte die Frau auf die Terrasse.
»Wir hatten damals Eure ehemalige Villa an der Brenta gekauft«, erklärte die Frau. »Euch gehörte die limonaia . Ich weiß nicht, ob das immer noch so ist?«
Crestina schlug sich an die Stirn.
»Natürlich erinnere ich mich. Ihr stammt aus Basel, und Ihr hattet einen Hauslehrer für Eure Kinder, er hieß Kugel oder so ähnlich.«
Die Frau verzog das Gesicht.
»Kugler. Nun ja, inzwischen brauchen wir keinen Hauslehrer mehr, die Kinder sind erwachsen. Ja, das sind sie wohl.«
Die Frau stockte und knetete an ihren Fingern.
»Und Ihr wohnt immer noch dort, in der Villa?«
»Nur im Sommer«, erwiderte die Frau missmutig, so, als sei Crestina die Schuldige, dass dies so war. »Im Winter hat es keinen Sinn. Wer will sich schon immer um diese riesigen Kohlenbecken kümmern, und kalt bleibt es trotzdem.«
»Dann wohnt Ihr jetzt in der Stadt?«, fragte Crestina zögernd, die allmählich das Gefühl hatte, dass der Anlass dieses Besuchs kein erfreulicher war.
Die Frau nickte.
»Ja, auch in einem Palazzo, mein Mann hat ihn schon vor einigen Jahren gekauft. Er ist natürlich nicht so großartig wie Eurer«, wehrte sie ab, als Crestina ihr gratulieren wollte, »aber er ist ebenfalls schön.«
Sie zögerte.
»Die Hälfte bewohnt übrigens Euer Vetter. Zur Miete. Aber«, sie lachte verlegen, »er will nicht, dass die Leute das wissen.«
Crestina zuckte zusammen. Also schon wieder eine Lüge.
»Bartolomeo?«
»Ja, er heißt wohl Bartolomeo mit Vornamen.«
Die Frau zog ein Taschentuch aus ihrem Mieder und wischte sich über die Augen.
»Ja, Bartolomeo.«
Dann schaute sie über den Kanal hinweg und zuckte mit den Schultern.
»Aber ich glaube es einfach nicht.«
»Was?«
»Dass er es war, der ihn umgebracht hat.«
»Wen?«
»Meinen Mann.«
»Bartolomeo soll Euren Mann umgebracht haben?«, fragte Crestina ungläubig.
Die Frau zuckte wieder mit den Schultern und wischte sich erneut über die Augen.
»So heißt es.«
»Könnt Ihr mir das von Anfang an erzählen?«, bat Crestina.
»Da gibt's nicht viel zu erzählen«, sagte die Frau seufzend. »Vielleicht erinnert Ihr Euch ja noch an meine schon mehr als seltsame Naivität damals: Ich wusste ja nichts von den Geschäften meines Mannes. Natürlich war ich glücklich über das viele
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