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Stadt der blauen Paläste

Stadt der blauen Paläste

Titel: Stadt der blauen Paläste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingeborg Bayer
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was?«
    Er verließ den Raum, ging in eine Nebenkammer, holte einen zweiten Stuhl.
    »Wenn du es wirklich begreifen willst, brauchen wir Zeit. Hast du sie?«
    Sie nickte kaum merklich mit dem Kopf.
    »Weißt du eigentlich, was es für jemanden bedeutet, nie einen Schlüssel zu besitzen?«, fragte er dann abrupt. »Nie eine Tür ins Schloss fallen zu lassen und zu wissen, dass sie die Grenze ist vom Draußen zum Drinnen? Von der Welt draußen, die allen gehört, und der drinnen, die nur dir gehört?«
    »Ich kann mich nicht erinnern, dass deine Tür nie einen Schlüssel gehabt hätte, damals«, sagte sie irritiert. »Du wohntest über uns, und wir konnten dich hören, nächtelang, wie du über uns über die knarrenden Dielen gingst, Schritt um Schritt, es war deine Kammer, oder etwa nicht?«
    »Aber ich hatte keinen Schlüssel zu ihr.«
    »Weil ihn irgendwer verschlampt hatte, vermutlich du selber«, sagte sie heftig.
    »Ich habe ihn ganz gewiss nicht verschlampt«, wehrte er sich, »aber lassen wir das. Es geht doch um ganz andere Schlüssel. Nicht um diesen hier, den ich nie gebraucht habe, weil ich in diesem Haus allein lebte. Es geht um den Schlüssel der Haustüre zum Beispiel und –«
    »Und genau hier frage ich mich bereits die ganze Zeit über, wie du an ihn gekommen bist. Der Advokat hat ihn damals nach dem Prozess mir gegeben. Hast du einen nachmachen lassen?«
    Er lachte.
    »Nein, das habe ich nicht. Aber wenn du die Aufrufe der Behörden lesen würdest, dann hättest du mitbekommen, dass der Große Rat inzwischen die Herstellung und den Verkauf von Dietrichen verboten hat, weil junge Leute aus durchaus angesehenen Häusern damit ihren Schabernack getrieben haben und jedes Schloss öffnen konnten. Aber ich wollte dir von diesem Schlüsselgefühl erzählen und was es bedeutet, wenn man es wirklich erlebt. Wie das ist, wenn man jemandem eine Tür öffnet, ihn hereinbittet und alles hinter dir gehört dir, verstehst du das eigentlich?«
    Sie stand auf, nahm ihren Korb, wollte gehen. Er seufzte, machte einen Schritt und ergriff ihren Arm.
    »Geh nicht«, sagte er dann, »es kann ganz einfach nicht sein, dass es dich nicht interessiert, was war und jetzt ist. Ich bin ganz sicher, dass es dich interessieren muss, denn es hat selbstverständlich auch mit dir zu tun.«
    »Das hat es ganz gewiss«, sagte sie hart. »Ich wollte nach fünf Jahren der Abwesenheit ein Haus besichtigen, das mir einst gestohlen wurde und nun seit zwei Jahren mir gehört. Du störst mich dabei, ist dir das eigentlich klar?«
    Er lachte.
    »Natürlich ist mir das klar. Aber es kümmert mich nicht. Nicht für den Augenblick, der uns gehört. Du siehst ja, ich darf endlich das sein, was mir immer verwehrt war: Ich darf ein Mann sein, mit allem, was dazugehört.«
    »Und wovon lebt dieser Mann«, spottete sie, »wenn er nicht gerade Hof hält?«
    »Von diesem und jenem«, sagte er achselzuckend. »Und von anderem.«
    »Und dieses ›andere‹, was ist es? Oder bleibt es dein Geheimnis?«, wollte sie wissen.
    Er wischte ein Stäubchen von seinem Rock.
    »Genau das.«
    »Was soll das heißen?«, fragte sie nach einer Weile misstrauisch.
    »Dass es eben ein Geheimnis bleibt. Mein Geheimnis.«
    Sie überflog im Kopf seine Möglichkeiten, ließ hundert Ideen an sich vorübereilen, dann spürte sie, wie es ihr übel wurde.
    »Du hast es erraten«, spottete Bartolomeo, der sie beobachtete, »du warst schon immer ein kluges Kind.«
    »La bocca ?«, flüsterte sie.
    »La bocca «, bestätigte er. »Und wie du weißt, hat la bocca einen riesigen, gefräßigen Schlund.«
    »Du erzählst ihnen also«, sie stockte, »du sagst ihnen alles, was du siehst –«
    »Oh, nein, nein, du liegst auf der falschen Linie«, wehrte er ab. »Es geht nicht um irgendwelche Reiter, die zu rasch durch die Mercerie galoppieren, oder Fremde, die hier meldepflichtig sind in unserer Stadt und dies für überflüssig halten kundzutun. Damit beschäftige ich mich nicht.«
    »Womit dann?«, fragte sie rasch und dachte dabei an die Wollballen und die Inventarlisten der verbotenen Bücher beim Zoll, die dort in Kürze wieder eingehen sollten und gefälscht werden mussten, damit die Bücher ungeschoren in die Stadt kommen konnten.
    Er beobachtete ihr Gesicht, und sie hatte das Gefühl, dass er ihre Ängste mühelos auf ihrer Stirn ablesen konnte, so, als seien sie mit leuchtend roter Farbe dort aufgelistet.
    »Nein, auch nicht ›Von der Freiheit eines Christenmenschen‹, das

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