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Stadt der blauen Paläste

Stadt der blauen Paläste

Titel: Stadt der blauen Paläste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingeborg Bayer
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lassen, aber der Schlosser hatte sie vorweg gewarnt, dass es durchaus möglich sein konnte, dass sie Schwierigkeiten damit haben könnte, weil sie unbedingt den gleichen Schlüssel hatte verwenden wollen.
    »Weshalb?«, hatte der Mann sie irritiert gefragt, »ein neues Schloss ist nicht so viel teurer. Und Ihr habt die Sicherheit, dass Ihr auch ins Haus kommt.«
    »Weil es der alte Schlüssel ist, den ich schon hundertmal benutzt habe, früher«, hatte sie kurz gesagt.
    Der Mann hatte mit den Schultern gezuckt, seinen Auftrag ausgeführt, aber vermutlich bei sich gedacht, dass es immer wieder Verrückte mit den sonderbarsten Wünschen gab.
    Jetzt stand sie vor dem Haus, betrachtete die Rückseite, die Landseite, die noch nie besonders anziehend gewesen war und es nun nach dieser langen Zeit erst recht nicht mehr war: Der Putz blätterte in breiten Schwaden fast über die gesamte Hausseite ab, ein Fenster hing schräg im Rahmen, eine Scheibe war zerbrochen und über allem flogen Schwärme von Tauben.
    Sie schob den Schlüssel in das Schloss, er hakte, quietschte, sperrte sich. Aber sie gestand ihm all das zu. Ein Haus, das fünf Jahre hindurch mehr oder weniger sich selbst überlassen war, durfte Mucken haben. Ein Haus, das von irgendjemand bewohnt worden war, den sie nicht gekannt hatte, das vielleicht nie geputzt und auf jeden Fall von niemandem geliebt worden war, durfte trotzig sein und sich jenen gegenüber unnahbar zeigen, die es nun übernehmen wollten. Ein Haus, das verlassen war seit jenem Tag, als es die Möbelträger ausgeweidet hatten.
    Der Tag, an dem sie ihr erstes Sonett geschrieben hatte. Sie versuchte es zu memorieren, stellte dann fest, dass es ihr jedoch nur bis zur zweiten Stanze gelang.
    »Bartolomeo kam mit der Flut.«
    Der Satz überfiel sie, als sich das Schloss nach etlichen Widerständen endlich hatte öffnen lassen. Sie hatte sich durch die Tür hindurchquetschen müssen, da vermutlich irgendwelche störrischen Gegenstände, die sich dahinter befanden, den Eintritt erschwerten. Sie schob mit ihrem Fuß die Reste eines Eimers zur Seite, der vermutlich zum Auffangen des Regens gedient hatte. Irgendwelche Stofflappen lagen auf einem wirren Haufen an der Seite. Dann blieb sie stehen: Sie stand auf einem Boden, der einst mit schwarz-weißen Platten ausgelegt worden war, jetzt entstand der Eindruck, dass es sich immer nur um schwarze Platten gehandelt haben konnte, da der verkrustete Schmutz keine Farbe mehr erkennen ließ.
    Sie blickte zu dem breiten Tor hinüber, das zum Kanal hinausführte und jetzt verrammelt war. Sie sah die Treppe hinauf, die in die sala führte. Sie schloss die Augen und sah die Szene in aller Deutlichkeit wieder vor sich: Anna, die die langen Röcke emporgerafft hatte und in das Wasser hinunterstieg, das bereits fünf Treppenstufen emporgeklettert war, Jacopo, der sich bekreuzigte, Riccardo, der ihr den Arm schützend um die Schultern legte. Und das Bündel, das die Flut in ihr Haus geschwemmt hatte. Damals. Bartolomeo.
    Sie überließ sich ihren Erinnerungen, setzte sich auf die Steinbank neben der Tür. Fast andächtig nahm sie die Geräusche des Hauses auf, die Gerüche. Ihr Blick ging zu dem Brunnen auf der gegenüberliegenden Seite des Raums, er war hoch angefüllt mit Müll und Schrott. Ein paar Tischbeine ragten empor, jemand musste die Scherben der Laterne über der Treppe zusammengekehrt haben. Doch dann muss demjenigen die Lust vergangen sein, und er hatte den Rest in die Ecke gekehrt. Von oben hörte sie Taubengeflatter, ein Boot tutete, sie hörte sein Horn durch die Türe hindurch, obwohl das Wassertor von innen verriegelt war. Irgendwo tropfte Wasser.
    Und sie sah die Gondel. Diese schwarze, halb zerstörte Gondel, die wie ein flügellahmer, großer Vogel im androne lag, schräg auf die Seite gekippt, als habe sie mit dem letzten Atemzug sich dieses Haus ausgesucht, um hier ihr Leben auszuhauchen. Jacopo hatte die Gondel damals in den Pestzeiten ins Haus gebracht, damit er eine Arbeit hatte, die ihn von all dem ablenkte, was damals geschah. Er hatte sie notdürftig repariert, aber dann war il morbo auch über dieses Haus gekommen, und niemand hatte sich mehr um die noch halb zerstörte Gondel gekümmert, die ohnehin niemand brauchen würde. Nun, da die Zeit über sie hinweggegangen war, die Sitzpolster von Mäusen zerfressen, getrockneter Vogelmist über die gesamte Länge des Bootes verteilt, der schwarze Lack vermutlich von irgendwelchen Tieren abgekratzt,

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