Stadt der blauen Paläste
unliebsamen Zwischenfälle ereignen konnten, wie bei ihrem letzten Versuch, dieses Haus endlich wieder in Besitz zu nehmen. Sie hatte damals ihre Entscheidung an einem Sonnabend fällen wollen, den sie für einen günstigen Tag gehalten hatte.
Es war dann allerdings alles andere als ein günstiger Tag gewesen. Noch bevor sie um die Ecke ihrer schmalen calle gebogen war, hatte sie schrilles Kindergebrüll gehört: Ein Junge rannte an ihr vorbei mit einem Eisenrohr in der Hand, ein anderer trug einen Hocker und ein Dritter schwang ein Seil in der Hand, als wolle er einen Büffel einfangen.
Er wird einen Ball aus einem Garten holen wollen, hatte sie vermutet, da neben ihrem Palazzo der winzige Hof eines anderen Hauses lag, den die Kinder bereits früher in ihre wilden Spiele mit einbezogen hatten.
Aber diese Vermutung war offenbar falsch gewesen: Die Gruppe der Kinder hatte sich genau vor dem Tor ihres Palazzo versammelt und steckte die Köpfe über dem Schloss zusammen.
Sie beschleunigte ihren Schritt, ein anderer Junge rannte an ihr vorbei, überholte sie, hatte ein Brecheisen in der Hand.
»Damit geht es besser!«, schrie er den anderen entgegen.
Crestina beeilte sich, stand schließlich hinter den Kindern, die sich alle mit irgendwelchen Eisenteilen oder Feilen an dem Schloss zu schaffen machten. »Beeil dich!«, schrie einer und klopfte dem anderen von hinten auf den Kopf. »Ich will sie auch sehen.«
»Was macht ihr da?«, fragte Crestina irritiert, als sie sah, dass der Boden vor dem Schloss voll mit abgebrochenen Astteilen und Holzstücken lag. »Ihr zerstört das ganze Schloss!«
»Das wollen wir ja«, erwiderte einer der älteren Jungen zornig, »sie müssen eingesperrt bleiben.«
»Wer muss eingesperrt bleiben?«, hatte sie verblüfft gefragt und sich zwischen die Kinder geschoben, um die Ursache des Auflaufs in Augenschein zu nehmen.
»Wisst Ihr das nicht?«, hatte einer geschrien. »Das Haus gehört zu der ›Stufe‹!« Ein Ausruf, der ein gigantisches Lachen der anderen hervorbrachte.
»Es gehört zu was?«, fragte sie fassungslos.
»Sie weiß nicht, was die ›Stufe‹ ist«, sagte ein anderer und versuchte ganz offensichtlich, ihre Unkenntnis zu erklären. Er formte zwei Finger zu einem Ring und stieß einen anderen Finger in das Loch.
»Das machen sie da drin«, hatte er dann lautstark gesagt, und ein paar der übrigen Kinder versuchten, ihr auf die gleiche drastische Art und Weise klar zu machen, was sich ganz offensichtlich in diesem Haus abspielte.
Crestina hatte verärgert das Schloss betrachtet. Es war ihr klar, dass sie ihren Schlüssel erst gar nicht aus dem Korb zu nehmen brauchte: Dieses Schloss musste sie erneuern lassen. Sie drehte sich um, eilte die calle zurück und beeilte sich, einen Mann zu finden, der sie in seiner Gondel zu der Wasserseite des Palazzo bringen konnte. Dann besann sie sich. Irgendetwas stimmte hier nicht, und vermutlich war es besser, wenn sie mit Leonardo oder Alvise zu einem späteren Zeitpunkt zurückkehrte.
Heute nun hatte sie einen Dienstag für ihr Vorhaben gewählt. Einen Dienstag, da dies angeblich nach Leas Vorstellungen aus jüdischer Sicht ein Glückstag sein sollte: der Montag sei ungünstig für den Fortgang einer Sache und der Mittwoch sei schlichtweg ein Unglückstag.
Nun also ein Dienstag, obwohl sich Crestina über sich selbst amüsierte, über den Glauben an eine Sache, der nicht allzu stark war, ob nun jüdisch oder nichtjüdisch. Aber immerhin konnte sie für die heutige Entscheidung sich selbst gegenüber ihr schlechtes Gewissen über ihre Nachlässigkeit, was dieses Haus betraf, etwas dämpfen und sich das Gefühl geben, dass sie die Wurzeln ihrer Herkunft nicht für alle Ewigkeit beschneiden wollte.
Und so ging sie die altvertrauten Wege, die sie jahrelang gemieden hatte, die sie jedoch noch immer im Traum hätte gehen können: Rialto, an den Gemüseständen vorbei, am Fischmarkt vorüber, bei den Kräutern ein kurzer Halt, dann einmal links, einmal rechts, geradeaus, am Geschäft des Maskenmachers mit den ausgebreiteten Waren vor dem Laden vorbei, daneben die Putzmacherin, dann der Laden mit den bunten Papierproben. Und schließlich die enge Gasse, die ans Ziel führte und normalerweise in völliger Stille lag.
Sie hatte sich nicht dazu entschließen können, diesen Besuch mit jemandem zusammen zu machen. In ein Haus zu gehen, das sie seit fünf Jahren nicht mehr betreten hatte. Das Schloss hatte sie inzwischen auswechseln
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