Stadt der blauen Paläste
selbstverständlichen Dingen in ihrer Zeit gehörten.
Als sie acht Tage nichts gehört hatte, beschloss sie, diesen seltsamen carnevale zur Seite zu schieben und ihn in die Unwägbarkeiten ihres Lebens einzuordnen.
Auch Margarete war nicht zurückgekehrt am Aschermittwoch. Sie solle sich keine Sorgen machen, hatte auf einem Zettel gestanden, den sie in der Küche vorfand, sie sei unterwegs für ihre Essenzen. Ihre Rückkehr sei ungewiss.
Und Lea hatte zu einem Kaufinteressierten für ihre Bücher über Land fahren müssen. Moise hatte sie zu Diana gegeben, weil sie Crestina damit nicht belasten wollte. Zumindest sagte sie das.
Dass sie das Haus nun allein bewohnte, störte sie nicht, auch wenn ihr die Gerüche und Aktivitäten der Frauen fehlten. Also hatte sie heute ihren Korb gerichtet, war die wenigen Schritte zur Mole gegangen, hatte ihr Boot losgemacht und war losgerudert.
Der Tag war warm, fast zu warm für die Jahreszeit, und der übliche Nebel schien irgendwo hoch oben in den Lüften hängen geblieben zu sein und wartete auf seinen Abruf.
Sie ruderte mit einer Kraft, die sie nie zuvor seit dem Tod Riccardos verspürt hatte. Und sie sang. Sie sang ein altes Wiegenlied, das Anna einst für sie gesungen hatte. Sie ließ die Töne in den Himmel emporsteigen, als seien sie Lerchen, die sich verflogen hatten.
Sie ließ sich kaum eine Pause, freute sich auf den Inhalt ihres Korbes, auf die Kichlech von Lea, die noch von ihrem letzten Besuch im Palazzo übrig geblieben waren. Den Wein wollte sie auf den Stufen der limonaia genießen, sich dann ein Kissen in die Hängematte legen und in den Palmenwald emporblicken. Mit geschlossenen Augen.
»Wie kann man mit geschlossenen Augen einen Palmenwald sehen?«, hatte Margarete einmal verwundert gefragt.
»Ich kann ihn immer sehen, mit geschlossenen Augen«, hatte Crestina gesagt. »Immer dann, wenn ich will.«
Als sie das Boot ans Ufer zog und es vertäute, hörte sie über sich bei der Villa Stimmen. Sie versuchte es hinzunehmen, obwohl sie gehofft hatte, dass es ihr diesmal gelingen würde, ohne diese seltsamen Nachbarn zu sein.
Zunächst hörte sie eine hohe Frauenstimme, glucksend, sich dabei überschlagend. Und laut lachend. Sie seufzte, hoffte, dass sie diesmal nicht wieder Kindsmagd für den entflogenen Papagei sein sollte und die Hunde sich endlich an ihre Nachbarschaft gewöhnt hatten. Sie hoffte auch, dass diese Frau aus Basel ihr nicht wieder die Zeit stehlen würde mit unnützen Gesprächen wie beim letzten Mal. Dann hörte sie eine tiefe Männerstimme, die von diesem Kugler sein konnte oder auch nicht. Vermutlich hatte auch diese Frau inzwischen von der Nützlichkeit eines Cicisbeo gehört.
Als sie näher kam, stutzte sie, als die Männerstimme einen längeren Satz sagte. Dann hielt sie sich für verrückt – die Zeit war vorüber, in der sie allerorts geglaubt hatte, Bartolomeos Stimme zu hören. Und immerhin war inzwischen schon eine Zeit vergangen, und er hatte nichts von sich hören lassen. Und ihre Ängste hatten seltsamerweise nachgelassen, seit sie Renzo kannte.
Sie schlug also den kleinen Pfad ein, der weit unterhalb der Villa zu ihrer limonaia führte, und hoffte, dass sie ungeschoren in ihrem Häuschen verschwinden konnte. Aber dann, als sie sich bereits in Sicherheit wähnte, hörte sie plötzlich die aufgeregte Stimme der Frau näher kommen, und dann wurde ihr Name gerufen. Zweimal, dreimal hintereinander.
»Stellet Euch vor, was geschehen ist«, sagte die Frau erregt und lief auf sie zu, »hier –«
»Hier ist heute kein Papagei«, unterbrach sie rasch und nicht eben freundlich.
Die Frau blieb abrupt stehen und lachte dann laut.
»Nein, nein, es geht diesmal nicht um diesen albernen Papagei, der ständig davonhüpft, weil er nicht fliegen kann. Es geht um etwas Großes, etwas Weltbewegendes.« Sie lachte und schaute sich dann um, als der Mann, der mit diesem Weltbewegenden offenbar zu tun hatte, nicht folgte.
»Aber so kommt doch, sie ist ja da!«, rief sie dann drängend. »Welch ein Zufall, welch ein Zufall!«
Crestina seufzte, verfluchte diesen Zufall, stellte aber den Korb ab, weil sie keinesfalls Lust hatte, die Frau und ihren Begleiter in ihr Haus zu bitten.
»Worum geht es denn?«, fragte sie dann höflich und rief der Frau einen Warnruf zu, da sich soeben ihr Rock in den Brombeerhecken verfangen hatte. Bevor sie helfen konnte, sagte die Frau atemlos und versuchte sich dabei ungeschickt aus dem Gewirr zu
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