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Stadt der blauen Paläste

Stadt der blauen Paläste

Titel: Stadt der blauen Paläste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingeborg Bayer
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erklären, dass es noch zu diesem verrückten carnevale gehörte, bei dem man ein anderer wurde. Und selbstverständlich konnte er ihr ebenso gut anbieten, seine Mätresse zu werden. Eine Schlussfolgerung, die sie allerdings keinesfalls ernsthaft in Erwägung zog.
    Sie erreichte die Messe viel zu spät, schon erklang das Glorie, aber es war ihr egal. Sie wollte in dieser Kirche sein, in die ihr Großvater sie als Kind mitgenommen und sie das Beten gelehrt hatte.
    Die Kirche war zu dieser frühen Morgenstunde, in der die Besucher mit großem Lärmaufwand hier ihre Geschäfte tätigten, während sie zur Andacht kamen, weniger gefüllt als sonst. Vermutlich hatte es mit einem bestimmten Feiertag zu tun, den sie vergessen hatte und den manche sich als Entlastung zuordneten, sodass sie sich die Messe überhaupt schenken konnten. Sie überlegte, ob sie zur Beichte gehen sollte, aber sie war sich nicht sicher, was sie hätte beichten sollen – noch war nichts von dem geschehen, was sie später vielleicht würde beichten müssen. Noch war sie nicht mit einem Mann auf dem gleichen Schiff, in dem es ganz gewiss nicht zahllose Räume gab, in denen sie für sich sein konnte. Die Kapitänskajüte würde man ihr jedenfalls ganz gewiss nicht überlassen. Und die übrigen Kojen waren jeweils für zwei Leute gedacht. Sie hatte sie gesehen, Renzo hatte sie ihr gezeigt.
    »Schaut Euch um«, hatte er in jener Nacht gesagt und sie allein nach unten geschickt.
    Sie verließ den Dom seltsam unbefriedigt, auch keinesfalls sicherer als zuvor. Das Abenteuer konnte ihr niemand abnehmen und ausreden, zu diesem Zeitpunkt schon gleich gar nicht. Und dass Margarete begeistert gesagt hatte, wenn sie Crestina wäre, würde sie ohne überhaupt nur die Spur eines Zweifels sich diesem Mann bedenkenlos anvertrauen, bedeutete natürlich gar nichts. Denn Margarete mit ihrer unbändigen Abenteuerlust wäre vermutlich über alle Meere dieser Welt mit allen Männern gefahren, die sie dazu eingeladen hätten.
    Die Kogge erschien ihr anders als in jener Nacht, als sie sich dem Schiff näherte. Sie erschien ihr größer, gewaltiger, Furcht einflößender vor allem. Und natürlich war sie jetzt kurz vor der Abfahrt der Stille beraubt, die sie in jener Nacht ausgestrahlt hatte. Sie glich eher einem Termitenhaufen, in dem die einzelnen Bewohner noch nicht den ihnen zukommenden Platz gefunden hatten. Matrosen zogen auf Karren irgendwelche Säcke an Bord, während der Kapitän Kommandos brüllte. Ein Segelmacher schleppte keuchend einen Ballen Segeltuch auf den Schultern und Crestina fragte sich, ob das Schiff bei diesem Chaos überhaupt am heutigen Tag auslaufen würde.
    Aber dann sah sie Renzo. Sie sah ihn inmitten des Gewimmels stehen. Er schrie weder, noch gab er Befehle. Er stand nur da und beobachtete die Szenerie, mehr nicht. Als er sie entdeckte, geschah keinesfalls das, was sie erwartet hatte. Er rannte weder auf sie zu, um sie zu begrüßen, noch lächelte er, noch winkte er ihr zu. Er blieb stehen, wo er stand, suchte sich lediglich auf der Brücke einen besseren Halt.
    Crestina blieb vor dem Laufsteg stehen, nahm ihren Korb in die andere Hand, stellte ihn schließlich neben sich auf den Boden. Renzo sagte ein paar Worte zu einem seiner Offiziere und blieb weiterhin stehen. Der Mann lief die Schiffsrampe hinunter, verbeugte sich höflich vor Crestina und fragte, ob er sie nach oben bringen dürfe. Dabei griff er bereits nach ihrem Korb, so, als ob ihre Antwort unwichtig sei, und erkundigte sich, ob es sich dabei um ihr Gepäck handelte.
    »Ja. Nein. Ja«, sagte sie.
    Der Offizier lächelte.
    »Darf ich das als ›ja‹ nehmen?«
    Sie nickte, ging dann hinter ihm die Schiffsrampe hinauf, stieg die Stufen empor zur Brücke. Und bereute in der gleichen Sekunde, dass sie nicht zu der blauen Madonna nach Torcello gefahren war. Vermutlich hätte sie dort ganz gewiss erfahren, was sie in einer Situation wie dieser zu tun hatte.
    Als sie auf der Brücke vor dem Mann stand, mit dem sie nun über die Meere fahren sollte – oder wollte –, hatte sie das Gefühl, dass jedermann in dieser Stadt über sie lachen würde, wenn sie diese Situation schildern würde: Eine Frau geht zu einem Mann auf ein Schiff, von dem sie nicht einmal weiß, wohin es fährt. Ein Schiff, von dem sie nicht weiß, welche Rolle ihr darauf zugedacht ist. Und vor allem, ohne zu wissen, ob sie überhaupt an Bord erwünscht ist, oder ob alles etwa nur ein grausames Missverständnis oder gar

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