Stadt der Engel
gereizt, da überholten uns auf der linken Spur Ria und Pintus, unsere Jüngsten, kenntlich an ihrem schnittigen grellroten Wagen und an Pias Ledermützchen. Sie machte verzweifelte Gesten über die Endlosigkeit der Fahrt. Dann tauchte plötzlich auf dem Wegweiser über uns der Name der Abfahrt auf, die wir suchten, jetzt mußte Francesco schnell auf die rechte Spur kommen, mußte darauf hoffen, daß die anderen Fahrer ihn alle anderen Spuren überqueren lassen würden. Sie taten es, sie taten es fast immer, Amerikaner lassen ihren Frust nicht beim Autofahren aus – dafür haben sie zu Hause ihre Waffen, you see, wird eine Amerikanerin mir einmal erklären. EXIT ONLY, es war kaum zu glauben, wir waren auf der richtigen Straße, fanden die richtige Abbiegung, gerieten in dunkles Gelände, umfuhren suchend einen Häuserblock, sahen Pintus und Ria vor einem erleuchteten Hauseingang aussteigen, da hielt auch das Auto mit unseren vier anderen Combattanten, Hanno, dem leidenschaftlichen Pariser, der in einer grundlegenden Arbeit die Städte Paris und Los Angeles vergleichen wollte, und Emily, der einzigen Amerikanerin unter uns, die sich unaufhörlich ärgerte über ihr scharfgeschnittenes Profil, das wir alle bewunderten, ebenso wie ihre überaus klugen Essays über den amerikanischen Film. Lutz, mein Landsmann aus Hamburg, hatte mir gestanden, daß er nur aus Höflichkeit mitkam, diesesogenannte Moderne sei seine Sache nicht, während Maja, seine Frau, die lose Kleider liebte, überall erschien, wo es für sie etwas Neues gab, und am Ende mehr über Los Angeles wußte als jeder andere von uns. Die ganze Bande, sagte jemand.
Wir traten ein. Eine Studentin erwartete uns, ein Mädchen mit japanischem Gesichtsschnitt, das uns durch verschachtelte, teilweise von Bauzäunen gebildete Gänge zum Objekt unserer langen Fahrt, jener berühmten Installation, führte: Ein quadratischer Raum, durch schnell aufgestellte Wände aus leichtestem Material erschaffen, an zwei gegenüberliegenden Seiten waren Sitz- und Liegeflächen entstanden, indem man verschieden hohe graue Blöcke übereinandergestapelt hatte, auf denen der Besucher sich niederlassen sollte, um dann den Blick an den stumpfroten, indirekt beleuchteten Wänden hinaufzuschicken, zur Decke hin, in der ein zwei Quadratmeter großes viereckiges Loch ausgespart war, ein Himmelsloch, das eigentliche Ereignis dieser Installation: Tiefschwarzer Nachthimmel, in den man mit in den Nacken gelegtem Kopf so lange blicken sollte, bis man etwas sah . Der Künstler wolle mit dieser Aufstellung sein Publikum sehen lehren, erklärte Francesco. Lutz, spezialisiert auf die Kunst des neunzehnten Jahrhunderts, konnte ein Stöhnen nicht unterdrücken. Okay, sagte Pintus, der sich sonst mit der Literatur des Mittelalters beschäftigte, wolln mal sehn. Der Spott in den Mienen der meisten war deutlich, nur gezügelt durch die Anwesenheit der japanischen Studentin, die vollkommen ungerührt blieb. Ziemlich hart, diese Sitze, sagte Ines noch, und Ria bemängelte, daß wir nicht mal Sterne sehen würden. Sie nahm ihr Ledermützchen ab und drängte sich in eine Ecke. Nur Emily, deren Arbeitsgebiet auch der Fantasy-Film war, blieb still und aufmerksam, als erwarte sie etwas Außergewöhnliches.
Okay. Ich legte mich auf einen der grauen Blöcke und blickte hoch zu dem Himmelsloch. Die Schwärze begann, so schien mir, nach einiger Zeit zu wabern. Das nichtende Nichts, sagte ich. Schweigen. Anscheinend kamen wir alle allmählich zurRuhe, aber was hieß das eigentlich, fragte ich mich. Francesco würde sich vielleicht für eine kurze Zeitspanne durch Ines’ Ungenügen an ihrem gemeinsamen Leben nicht bedroht und nicht schuldig fühlen und von der Spannung befreit sein, die ihn sonst dazu zwang, aufzutrumpfen. Ines würde für eben diese kurze Spanne soviel Zutrauen zu sich selbst gewinnen, daß sie nicht Francesco verantwortlich machen mußte für ein Versagen, das nur sie an sich, niemand sonst an ihr wahrnahm. Ria würde ihr Ledermützchen nicht immer wieder in den Ring werfen müssen, und Pintus würde nicht immer erneut loslaufen müssen, um es als erster herauszuholen – eine Übung, deren beide müde geworden sein müssen, sie trennten sich später, ich erfuhr es erst neulich. Hanno, dachte ich weiter, mochte sich von dem Zwang befreit fühlen, durch geschliffene Formulierungen und elegante Kleidung seine großstädtische Überlegenheit darzutun.
Und ich? Ich selbst?
Allmählich lösten die
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