Stadt der Masken strava1
der über den Uferkies geworfen worden war. Sie trat so leichtfüßig wie ein junges Mädchen herab, gefolgt von ihrem Hofstaat von Damen. Von ihrem Standort im Wasser aus konnten Arianna und ihre Brüder die schlanke blaugrüne Figur mit den Sternen im Haar gut sehen.
Die Mandoliers stützten sich erschöpft auf ihre Ruderstangen, während die Musik der Kapelle am Ufer über das Wasser wehte. Als der Klang beim Einsetzen der silbernen Trompeten seinen Höhepunkt erreichte, ließen zwei junge Priester die Duchessa von einer eigens errichteten Plattform ehrfürchtig und langsam ins Wasser gleiten. Ihr schönes Kleid wallte auf der Wasseroberfläche, während sie sanft versank. Als das Wasser der Duchessa bis zu den Hüften gestiegen war, erschallte unter der gesamten Zuschauerschaft der Ruf »Sposati« – »Sie sind vermählt!«. Trommeln und Trompeten ertönten und alle winkten und jubelten, während die Duchessa wieder aus dem Wasser gehoben wurde und ihre Damen sie umringten. Einen kurzen Moment lang konnte jeder ihre jugendliche Gestalt erkennen, als das feine Kleid an ihrem Körper klebte. Es würde kein zweites Mal getragen werden.
Was für eine Verschwendung, dachte Arianna.
In der Staatskajüte der Barke war es eine andere Frau, die diesen Gedanken aussprach. Die echte Duchessa, bereits in das üppige rote Samtkleid und die silberne Maske gekleidet, die sie zu dem Hochzeitsbankett tragen würde, reckte sich und gähnte. »Was für Dummköpfe die Bellezzaner sind!«, sagte sie zu ihren zwei Dienerinnen. »Alle denken sie, ich hätte die Figur eines jungen Mädchens –
und das habe ich ja auch. Wie heißt sie diesmal?«
»Giuliana, Euer Gnaden«, erwiderte eine der Zofen. »Da kommt sie schon!«
Ein durchnässtes, niesendes Mädchen, das einer Herzogin jetzt nicht mehr besonders ähnlich sah, wurde von den Kammermädchen fast über die Stufen in die Kajüte hinuntergetragen.
»Zieht ihr die nassen Sachen aus«, befahl die Duchessa. »So ist’s schon besser.
Rubbelt sie fest mit dem Handtuch. Und du, nimm ihr die Steine aus dem Haar.«
Die Duchessa tätschelte die eigene kunstvolle Frisur, die ein genaues Abbild derjenigen des jungen Mädchens war.
Giulianas Gesicht war zwar ganz hübsch, aber doch sehr gewöhnlich. Die Duchessa musste lächeln hinter ihrer Maske, wenn sie daran dachte, wie leicht die Bevölkerung getäuscht werden konnte.
»Gut gemacht, Giuliana«, sagte sie zu dem schnatternden Mädchen, das versuchte einen Knicks zu machen. »Eine gute Darstellung.« Sie warf einen Blick auf das Amulett, das dem Mädchen an einer Kette um den Hals hing. Eine Hand mit drei ausgestreckten Mittelfingern und aneinander gelegtem Daumen und kleinem Finger. Es war der Glücksbringer der Insulaner, manus fortunae genannt – die Glückshand –, und er symbolisierte die Einheit des Kreises und die Gestalten der Göttin, ihres Gemahls und Sohnes, die geheiligte Dreifaltigkeit der Lagune. Aber es war kaum anzunehmen, dass dieses junge Ding davon Kenntnis hatte. Die Duchessa rümpfte die Nase, nicht wegen des Symbols, sondern weil das Amulett aus billigem Gold war und eher kitschig wirkte.
Giuliana war bald wieder trocken, wurde in ein molliges Wollgewand gehüllt und mit einem silbernen Kelch mit purpurrotem Wein versorgt. Die Pfauenmaske hatte sie abgelegt; sie würde zusammen mit dem salzwassergetränkten Kleid bei den vierundzwanzig anderen Masken aufbewahrt werden, die sich schon im Palazzo befanden.
»Danke, Euer Gnaden«, sagte das Mädchen, offensichtlich froh darüber, dass die eisige Umarmung der Lagune allmählich aus ihren Beinen wich.
»Eine barbarische Sitte«, bemerkte die Duchessa. »Aber man muss den Menschen etwas bieten. Also, du hast die Bedingungen ja gehört und auch begriffen?«
»Jawohl, Euer Gnaden.«
»Wiederhole sie.«
»Ich darf niemandem jemals davon erzählen, dass ich statt Euer Gnaden ins Wasser gestiegen bin.«
»Und wenn du es doch tust?«
»Wenn doch – was ich niemals tun würde, Herrin –, dann werde ich aus Bellezza verbannt.«
»Du und deine gesamte Familie. Für immer verbannt. Glauben würde dir sowieso keiner; es gäbe ja keinen Beweis dafür.« Die Duchessa warf einen stahlharten Blick auf die Zofen, die für ihren Lebensunterhalt alle ganz und gar auf ihre Herrin angewiesen waren.
»Und als Dank für dein Schweigen und für die Leihgabe deines frischen jungen Körpers komme ich für deine Mitgift auf. Viele Jahre lang sind zahlreiche junge Mädchen auf
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