Stadt der Masken strava1
die er je gesehen hatte. Die einzigen Zahlenkarten, die aufgedeckt lagen, waren Vieren, alle vier, eine aus jeder Farbe – den Fischen, den Vögeln, den Salamandern und den Schlangen. Sie waren wie Wächter zu beiden Seiten der Prinzessin und der Königin angeordnet. Alle anderen Karten waren wichtige Trumpfkarten – die Liebenden, der Magier, die Göttin, der Turm, die Jungfrau und – was ihn besonders beunruhigte – der Tod.
Rodolfo betrachtete die Karten eine ganze Weile, dann raffte er sie zusammen, mischte sie gründlich und legte sie erneut aus. Prinzessin der Fische, Schlangen-Vier, die Liebenden, der Magier… Als er schließlich das Schwert in die Mitte legte, zitterten seine Hände. Er hatte genau dasselbe Muster noch einmal gelegt.
Hastig schob Rodolfo die Karten wieder zusammen und wickelte sie in ein schwarzes Seidentuch. Er verstaute sie in dem Schubfach eines geschnitzten Schreibtisches und holte aus einem anderen Fach einen Samtbeutel, der Glassteine enthielt. Mit geschlossenen Augen griff er hinein, zog eine Hand voll Steine heraus und streute sie mit leichtem Schwung über die Schreibtischplatte. Glitzernd blieben sie im Kerzenlicht liegen.
In jedem der Glasklümpchen war in der Mitte ein silbernes Emblem eingefügt.
Überrascht entdeckte Rodolfo eine Krone, ein Blatt, eine Maske, die Zahl 16, eine Haarlocke, ein Buch… Beim Anblick des Buches erschrak er.
Dann erhob er sich. »Silvia wieder mal«, murmelte er und nahm das glatte purpurfarbene Glasstück mit der Silberkrone auf. Er trat ans Fenster und sah in seinen Dachgarten hinaus. Zwischen den Bäumen schaukelten sanft Laternen. Sie beleuchteten die Blumen und Blätter, deren Farben am Tag so kräftig strahlten, die jetzt aber blass wirkten. In der Ferne schrie ein Pfau.
Er ging an den Schreibtisch zurück und nahm zwei zwölfseitige Würfel aus der Schublade. Sechs und zehn würfelte er, acht und acht, sieben und neun – wohin er an diesem Abend auch sah, immer tauchte die Zahl sechzehn auf. Diese Zahl und die Hinweise auf ein junges Mädchen, das in Gefahr war. Was immer das bedeuten mochte, es stand in Verbindung mit der Duchessa und er würde es ihr berichten müssen. Wie er Silvia kannte, würde sie ihm nicht sagen, was diese Vorzeichen ihrer Ansicht nach bedeuteten, aber immerhin konnte sie sich wappnen, dass eine Gefahr drohte – welche auch immer.
Seufzend räumte Rodolfo seine Utensilien fort und machte sich daran, die Duchessa aufzusuchen.
Kapitel 1
Die Vermählung mit dem Meer
Licht strömte auf die seidenen Bettdecken der Duchessa, als ihre Kammerzofe die Fensterläden aufstieß.
»Es ist ein schöner Tag, Euer Gnaden«, sagte die junge Frau und rückte ihre Maske aus grünen Pailletten zurecht.
»Jeder Tag an der Lagune ist schön«, erwiderte die Duchessa. Sie setzte sich auf, ließ sich von ihrer Zofe einen Schal um die Schultern legen und eine Tasse heißer Schokolade reichen. Sie trug noch ihre Nachtmaske aus schwarzer Seide.
Eingehend betrachtete sie ihre junge Bedienstete. »Du bist neu hier, nicht wahr?«
»Ja, Euer Gnaden«, sagte das Mädchen und knickste. »Und wenn ich mir erlauben darf, das zu sagen: Es ist mir eine große Ehre, Euch an einem solchen Tag zu dienen!«
Gleich klatscht sie vor Begeisterung in die Hände, dachte die Duchessa und nippte an ihrer Schokolade.
Die Zofe schlug überschwänglich die Hände zusammen. »Ach, Euer Gnaden, bestimmt seht Ihr der Vermählung mit großer Freude entgegen!«
»In der Tat«, sagte die Duchessa gelangweilt. »Ich sehe ihr jedes Jahr mit Freude entgegen.«
Das Boot schaukelte bedenklich, als Arianna mit ihrer großen Segeltuchtasche hineinstieg.
»Vorsichtig!«, grummelte Tommaso, der seiner Schwester ins Boot half. »Du lässt uns noch kentern. Wozu brauchst du denn so viel Zeug?«
»Mädchen brauchen eben eine Menge Zeug«, antwortete Arianna bestimmt und drückte die Tasche an sich. Sie wusste, dass für Tommaso alles, was mit Frauen zu tun hatte, völlig rätselhaft war.
»Selbst für einen Tag?«, fragte Angelo, ihr anderer Bruder.
»Das wird schließlich ein besonders langer Tag«, sagte Arianna noch bestimmter und beendete damit die Fragerei.
Sie ließ sich am einen Ende des Bootes nieder und hielt die Tasche fest auf den Knien, während ihre Brüder mit den ruhigen, gemächlichen Schlägen von Fischern, die ihr ganzes Leben auf dem Wasser verbracht hatten, zu rudern begannen. Sie waren von ihrer Insel gekommen, von Merlino, um Arianna in
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