Stadt der Schuld
mir über die Maßen peinlich, aber ...«
»Was?« Der Richter schien jetzt wirklich erbost. Dieses Verfahren geriet zusehends zur Farce und schadete somit dem Ansehen der Justiz.
»Es ist ihm gestern Abend gelungen, aus unserem Gewahrsam zu entfliehen. Es ist mir wirklich unerklärlich, Euer Ehren ... er muss Helfer gehabt haben.«
Der Lordrichter lehnte sich in seinem thronähnlichen Stuhl zurück und schloss für einen Moment scheinbar erschöpft die Augen. Dann richtete er sich wieder auf. »Schreiber«, befahl er barsch, »halten Sie fest, dass die Anklage außer vagen Vermutungen und dem Hinweis auf weitere Verbrechen, deren Zusammenhang mit dem anhängigen Verfahren keineswegs gesichert ist, ja vermutlich in keinerlei Verbindung dazu stehen, nichts zur Klärung des Sachverhaltes beitragen konnte. Es begründet sich der Verdacht einer Urheberschaft an dem verhandelten Kapitalverbrechen seitens des Angeklagten deshalb lediglich durch die abstoßende Skrupellosigkeit, mit der er schon früher gegen seine Kontrahenten vorgegangen zu sein scheint.«
»Euer Ehren, ich möchte den Zeugen Armindale in eben diesem Punkt noch befragen«, machte sich da endlich der Verteidiger bemerkbar, der bisher beharrlich geschwiegen und das Geschehen nur mit wachem Blick verfolgt hatte. Isobel sah, wie Gruber sich angespannt nach vorne beugte. Also steckte er dahinter, dass Horace sich endlich doch noch entschieden hatte, den hochgeachteten und sehr erfolgreichen Strafverteidiger zu verpflichten. Sie hatte es sich fast gedacht. Gruber, dieser lästige Mensch, hatte sie schon immer mit Misstrauen betrachtet. Godfrey hatte sie überdies gewarnt, dass sie mit dem Barrister Mr Pimbley einem gewieften Gegner gegenüberstünden. Furcht kroch in ihr hoch. Die Dinge hätten bisher schlechter nicht laufen können, es war eine Katastrophe. Alles schien nun an Armindales Glaubwürdigkeit und Horaces Verfehlungen in der Vergangenheit zu hängen, die ihn als den skrupellosen Karrieristen auswiesen, der er zweifelsohne war.
Pimbley baute sich in seiner ganzen Größe und sich der Aufmerksamkeit sämtlicher Anwesender offenbar sehr bewusst, vor der Zeugenbank auf. »Mr Armindale, Sie erklärten vorher, Sie hätten im Auftrag meines Mandanten den verstorbenen Mr Joseph Baker ausspioniert. Gehe ich recht in der Annahme, dass Sie ein Berufsspion sind, der gegen Bezahlung und – das möchte ich betonen – auf nicht gerade legale Weise das Privatleben geachteter Bürger und hochgestellter Persönlichkeiten durchforstet?«
Armindale nickte zögernd.
»Würden Sie mir bitte antworten, sodass wir alle es hören können, Mr Armindale?«, fragte Pimbley nun, freundlich lächelnd.
»Ja, ich bin von Berufs wegen mit privaten Nachforschungen betraut«, fauchte Armindale erbost.
»Ist es richtig, dass mein Mandant mit Mr Baker auf geschäftlichem Wege eine Verbindung eingehen wollte, um ihn im Zuge guter Zusammenarbeit zu einem Verzicht auf eine neue Kandidatur zu bewegen?«
»Ja, das stimmt, aber ...«
»Waren Sie es nicht, der Mr Havisham Informationen über den verwerflichen Lebenswandel von Rupert Baker und den Vorschlag, diese für seine Zwecke zu nutzen, unterbreitete?«
»Nun, ich ... äh Mr Havisham war damit mehr als einverstanden und als seine eigenen Bemühungen scheiterten, wies er mich an, Rupert Baker weiterzubeschatten.«
»Hat er die Ergebnisse Ihrer Bemühungen dann auch als Druckmittel eingesetzt?«
»Nein, er hoffte – wohl aus Angst vor den Konsequenzen doch noch auf offiziellem politischem Wege zu einer Einigung ...«
»War es nicht vielmehr so, Mr Armindale, dass Sie selbst es waren, der Mr Joseph Baker mit der Tatsache konfrontierte, dass man seinem Sohn hinterherspionierte, was den Mann so in Angst versetzte, dass er kurz darauf einen schweren Schlaganfall erlitt, von dem er sich nicht wieder erholte? Und war es nicht auch so, dass Mr Havisham die Zusammenarbeit abrupt und höchst erbost aufkündigte, als er Kenntnis von Ihrer Eigenmächtigkeit erlangte?«
Armindale schwieg. Ein erstauntes Raunen ging durch die Zuhörerschaft.
»Antworten Sie, Mr Armindale!«, forderte Mr Pimbley freundlich.
»Ja!«, stöhnte Armindale.
»Danke für Ihre Auskünfte, Mr Armindale.« Der Verteidiger wandte sich nun dem Lordrichter zu. »Euer Ehren, ich kann eine Fülle von Unterlagen vorweisen, die belegen, dass sich mein Mandant in der Folge sehr für das Wohlergehen und die finanzielle Absicherung von Mr Baker und seinen
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