Stadt der Schuld
tief in das kollektive Gedächtnis eingegraben, obwohl viele nur vom Hörensagen davon wussten. Damals hatte es viele Tote gegeben – auch Frauen und Kinder. Niemand wollte so etwas noch einmal in, Kauf nehmen, zumal auch die Regierung unter Königin Victoria keinen Zweifel daran ließ, dass sie gegen jede Form des Aufbegehrens ähnlich hart vorzugehen gedachte. So blieben nur Kartoffeln und Schuften bis zum Umfallen, um sich wenigstens das Nötigste und selten genug Fisch oder ein Stück Fleisch leisten zu können.
Cathy zog auf Aarons erstaunte Frage hin die Stirn kraus. »Du hättest sehen sollen, wie verzweifelt sie waren, als ich sie fand. Ich musste ihnen einfach etwas Gutes tun. Ich wollte sie irgendwie auf andere Gedanken bringen. Das ist mir auch zumindest ein kleines bisschen gelungen, dank des Brotes. Wir können ja in den nächsten Tagen etwas mehr sparen«, fügte sie an.
Aaron streichelte ihr rasch über den Arm. »Es ist gut, Cathy. Du brauchst dich nicht dafür zu entschuldigen. Noch haben wir etwas Geld! Und für was sollten wir es einsetzen, wenn nicht dafür.« Hungrig biss er in den Kanten. Auch er schätzte den Geschmack von frischem Brot. Wieder einmal stieg die Sehnsucht nach ihrer Farm in ihm hoch, aber er verdrängte den Gedanken schnell. Er tat gut daran, nach vorne zu blicken und nicht mehr über das Verlorene zu trauern.
Sie setzte sich zu ihm. »Ich habe mir schon Gedanken gemacht, wie wir Arbeit finden können für die drei. Weißt du, es ist vielleicht sogar von Vorteil, wenn wir sie zu uns nehmen ...«
Aaron zog zweifelnd die Augenbrauen nach oben, konnte sich aber dabei ein Lächeln nicht verkneifen. Ihr Eifer gefiel ihm.
»Bestimmt!«, widersprach Cathy seinen stumm geäußerten Bedenken unbeirrt. Sie schien seinen sanften Spott nicht zur Kenntnis zu nehmen. »Ich kann jetzt so kurz vor der Niederkunft nicht mehr so lange stehen.Es fällt mir jeden Tag schwerer und da habe ich mir überlegt, dass Mary vielleicht für mich einspringen könnte; und wenn wir Glück haben, kommt sie dann auch fest in der Spinnerei unter. Du weißt, dass sie im Carding Room 16 nur Frauen und Kinder nehmen, weil die billiger sind als die Männer. Für die Arbeit unter den Rahmen der Spinning Mules sind die Mädchen wohl schon zu groß und William werden sie auch kaum dort nehmen. Mit seinen neun Jahren ist er ebenfalls zu alt. Mary ist im Grunde schon so groß wie eine erwachsene Frau. Aber vielleicht stellen sie sie ja gerade deshalb ein. Sie brauchen ihr dann auch nicht so viel zu zahlen wie einer Erwachsenen. Solche billigen Kräfte suchen sie, ich weiß das.«
»Hm, du kannst es wenigstens versuchen«, stimmte Aaron zu. »Auch William scheint mir ein recht aufmerksamer und anstelliger kleiner Kerl zu sein. Vielleicht kann ich ihn irgendwo bei den Transportkutschen unterbringen. Für die Arbeit bei den Feedern ist er jedenfalls noch zu jung. Das schafft er noch nicht.«
»Und als Sammler?«, schlug Cathy vor.
Aaron schüttelte den Kopf. »Sammler brauchen sie bei uns unten momentan keine. Da hat Priestley kürzlich ein paar Iren genommen, die arbeiten für noch weniger als wir.Viel verdienen wird William bei den Wagen allerdings auch nicht. Wenn er Glück hat, eineinhalb bis zwei Schillinge 17 die Woche, kaum der Rede wert.«
»Es ist wenigstens etwas! Ich weiß selbst, dass dein Lohn nicht für uns alle reichen wird, da ist jeder zusätzliche Schilling ein Segen. Mary könnte es bestimmt auf vier oder fünf Schillinge bringen, wenn sie fest eingestellt wird, denke ich.«
Aaron strich Cathy zärtlich über die Wange. Ihre Sorge rührte ihn. »Wir werden sehen, mein Herz! Wie auch immer, alles ist besser als das Armenhaus.« Er nahm einen tiefen Zug aus dem Krug und lehnte sich zurück. Er fühlte sich so müde und zerschlagen – er wollte nur noch schlafen. Es war ein Wunder, dass Cathy es immer noch schaffte, trotz der weit fortgeschrittenen Schwangerschaft zu arbeiten. Liebevoll sah er sein Weib an. »Ging es dir heute gut? Wie lange wird das Kleine noch auf sich warten lassen, was denkst du?«, fragte er.
Sie strich mit der flachen Hand über die Wölbung ihres Leibes, die nun im Sitzen deutlich hervortrat. »Drei oder vier Wochen vielleicht noch. Ich hoffe nur, das Kind überrascht mich nicht bei der Arbeit. Das würde ich wirklich nicht wollen. Vor zwei Wochen ist das ja Jezebel passiert, erinnerst du dich? Das war wirklich kein Vergnügen für sie in all dem Krach! Und dann auch noch
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