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Stadt der Schuld

Stadt der Schuld

Titel: Stadt der Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva-Ruth Landys
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Vierzehnjährigen umgedreht, die immer noch mit abgewandtem Blick auf dem Bett saß. Dem Mädchen, verschanzt hinter ihrer Bitterkeit, schien die Entscheidung nicht so leicht zu fallen wie ihren Geschwistern. Cathy konnte sie verstehen. Trotzdem wollte sie die Älteste nicht zurücklassen.
    »Mary, komm doch mit. Ich würde mich freuen!«, sagte sie sanft. Es dauerte noch einen Augenblick, dann schien der Hunger auch Marys Gegenwehr zu überwinden. Sie stand auf. Für eine Vierzehnjährige war sie schon recht weit entwickelt, wie Cathy jetzt feststellte. Der deutliche Ansatz weiblicher Rundungen wölbte ihr Kleid, das längst zu eng für sie war. Sie war auf dem besten Weg, eine hübsche junge Frau zu werden. Cathy nickte ihr freundlich zu: »Fein, Mary! Kommt, jetzt gibt es erst einmal etwas zu essen und dann überlegen wir uns, was wir für euch tun können. Ihr seid nicht mehr allein, das verspreche ich.«
    ***
    »Cathy, du bist verrückt! Wir können nicht für sie sorgen!« Aaron konnte seine Verärgerung nur schwer im Zaum halten.
    »Schhh, nicht so laut! Du weckst sie auf.«
    Aaron dämpfte folgsam seine Stimme. »Wie stellst du dir das vor? Ich kann uns nicht alle ernähren und bald kommt das Kind. Dann kannst du nicht mehr arbeiten.«
    Cathy verzog unwillig das Gesicht. Davon wollte sie nichts hören. Das Kind kam doch erst in ein paar Wochen. Bis dahin würden sie schon eine Lösung finden. Doch Aaron ließ sich nicht so einfach beschwatzen. »Wir haben auch kaum noch etwas von dem Farmgeld übrig. Das weißt du doch!« Müde fuhr er sich über die Augen. Er hatte einen knochenharten Tag hinter sich, jeder einzelne seiner Muskeln schmerzte, und nun kam ihm Cathy mit solch wahnwitzigen Ideen. Hatte sie denn völlig den Verstand verloren?
    Cathy sah ein, dass es ein wenig mehr der Überredung bedurfte: »Ja, ich weiß, dass das Geld knapp ist, aber ich konnte die drei einfach nicht ihrem Schicksal überlassen. Das kannst du doch auch nicht wollen, Aaron!« Sie legte die Arme um seinen Hals und lächelte entschuldigend. Ihr stark gerundeter Leib drückte gegen seinen Körper, als ihr Gesicht sich dem seinen näherte.
    »Nein, natürlich nicht. Aber ...«
    »Nichts aber! Wer soll sich sonst um sie kümmern? Sie sind noch zu jung, um allein für sich zu sorgen und haben sonst niemanden.«
    Aaron seufzte, wusste aber, dass ihm letztlich nichts anderes übrig blieb, als Cathy nachzugeben. Sie hatte ja recht! Wenn sie sich nicht der drei annahmen, würde es niemand tun. Das war die harte Realität. Über kurz oder lang würden McGillans Kinder dann im Armenhaus oder im Gefängnis landen und er vermochte kaum zu sagen, welches von beiden das schlimmere Schicksal war. Er seufzte noch einmal, dann nickte er ergeben.
    Cathys Lächeln vertiefte sich. »Ich wusste es! Du würdest sie nicht fortschicken. Das kannst du gar nicht, ich kenne dich doch!« Ehe er es sich versah, hatte sie ihm frohlockend einen festen Kuss auf die Lippen gedrückt und war in die Kochecke hinübergeeilt. Vorsichtig bahnte sich Aaron seinen Weg hinter ihr her, indem er vorsichtig über die schlafenden Körper der Kinder hinwegstieg, die sich mit alten Decken und Kleidungsstücken ein provisorisches Lager am Boden gemacht hatten. Nun würden hier also fünf Personen hausen. Der Luxus ihrer zwar kleinen, aber immerhin doch privaten Unterkunft war damit auch dahin. Er setzte sich an den Tisch, wo Cathy ihm etwas Brot und einen Krug mit stark verdünntem Bier hinstellte.
    »Brot? Haben wir einen Feiertag heute?«, fragte er erstaunt. Brot – zumindest etwas, was diese Bezeichnung auch verdiente – war für den größten Teil der Bevölkerung in den Städten inzwischen reiner Luxus. Schon ein gewöhnlicher Haferbrei war fast als Festessen zu bezeichnen. Die Kornpreise waren in letzter Zeit geradezu ins Unermessliche gestiegen. Gleichzeitig sanken die Löhne in den Fabriken durch den verstärkten Konkurrenzdruck aus dem Ausland schmerzhaft. Schuld daran waren, wie jeder wusste, die Grundbesitzer und Adeligen, die nicht auf ihre Privilegien und Schutzzölle verzichten wollten. Die Leute auf der Straße murrten deshalb, aber niemand wagte, dagegen aufzubegehren. Zu lebendig war in der Stadt noch die Erinnerung an die blutige Niederschlagung des Aufstands vor einigen Jahren. Das Hungerproblem war zwar nach wie vor nicht gelöst, aber die rücksichtslose Brutalität, mit der das Militär gegen die aufgebrachten Demonstranten vorgegangen war, hatte sich

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