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Stadt der Schuld

Stadt der Schuld

Titel: Stadt der Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva-Ruth Landys
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»Unsere Mutter hat uns im Stich gelassen. Vorgestern schon! Sie hat die drei Kleinen mitgenommen und gesagt, sie könne uns nicht alle ernähren. Wir wären alt genug und müssten eben selbst sehen, wie wir zurechtkommen.«
    Cathy ließ den Blick ungläubig zwischen den Kindern hin und her wandern. »Sie hat euch einfach hier zurückgelassen und ist fortgegangen?«
    »Das hat sie nicht!«, kreischte nun das jüngere der beiden Mädchen. »Sie kommt wieder zurück, ganz bestimmt!«
    Die Bitterkeit in der Stimme ihrer älteren Schwester war erschreckend. »Ja, träum schön, Debby. Mutter kommt nicht mehr und das weißt du ganz genau!«
    »Aber ...« Cathy ging hinüber zu den Mädchen und setzte sich zu ihnen auf das Bett, »Sie kann euch doch nicht einfach so zurücklassen. Das tut doch keine Mutter. Hat sie denn etwas gesagt, wo sie hinwollte, vielleicht?« Schweigen kehrte ein, das nur durch Debbys jetzt wieder lauter werdendes Weinen unterbrochen wurde. Beruhigend legte Cathy ihre Hand auf das eng an den Körper gezogene Bein des Mädchens.
    »Sie hat gesagt, sie hätte noch ein paar Verwandte auf dem Land irgendwo. Wo, hat sie uns nicht verraten wollen. Da würde sie versuchen, mit den Kleinen unterzukommen. Aber die könnten uns nicht alle nehmen. Wir sollten uns eben Arbeit suchen«, sagte William. Er hatte die Tür geschlossen und war nun ebenfalls herübergekommen. Unentschlossen nestelte er an einem lose herabbaumelnden Knopf an seiner Jacke. Obwohl er es offenbar als seine Aufgabe ansah, als einzig verbliebener Mann in dem kleinen Häufchen einen Rest von Ordnung aufrechtzuerhalten, spiegelte sein Gesicht nur zu deutlich seine Hilflosigkeit wider. Jetzt sonderte sich trotz seiner mannhaften Gegenwehr doch eine Träne aus seinen langen Wimpern ab und rann die feine Linie neben der noch kindlichen Stupsnase entlang. Verlegen wischte der Junge sie fort. Cathy packte ein tiefes Mitleid. Das Echo eines vergangenen Schmerzes überkam sie und drückte ihr die Luft in der Brust ab. Oh ja, sie wusste genau, wie es sich anfühlte, das Verlassensein! Die Kinder hatten nun nicht nur ihren Vater verloren, auch ihre Mutter hatte sie verlassen, aus purer Not verstoßen. Trotzdem spürte Cathy, wie sich heißer Zorn in ihr breitmachte. Wie konnte Ruth so etwas tun? Wie konnte sie ihre Kinder im Stich lassen?! Doch andererseits ... was hatte die Frau für eine Chance, hier in dieser Stadt, in diesem Moloch? Eine mittellose Arbeiterwitwe mit sechs Kindern? Aaron hatte es ja prophezeit und leider recht behalten: Die Aussichten für Ruth waren in der Tat mehr als finster. So versuchte sie wohl wenigstens für die Kleineren, die sie noch mehr brauchten, zu sorgen, so gut es ihr möglich war. Für die drei Älteren begann eben der Kampf ums nackte Überleben früher. Zu früh!
    Cathy fasste einen spontanen, aber umso festeren Entschluss. Aaron würde zustimmen, da war sie sich sicher. »Habt ihr schon etwas gegessen?«, fragte sie. Debby schüttelte den Kopf, dass die braunen Locken flogen. »Mutter hat uns ein paar Kartoffeln dagelassen, aber die waren schon gestern Morgen alle. Wir haben versucht, in der Stadt etwas zu besorgen, aber das hat nicht geklappt. Wir haben kein Geld und stehlen wollten wir es nicht. William sagt, er kennt einen, den sie deshalb nach Australien geschickt haben.«
    Mary schnaubte.
    »Vater hat immer gesagt, stehlen ist unrecht. Auch wenn es uns noch so schlecht geht!«, wies William seine ältere Schwester mit einer ernsten Würde zurecht, die in krassem Widerspruch zu seinen schmalen Schultern und dem weichen Kindergesicht stand.
    »Und da hatte er recht, euer Vater!«, sagte Cathy und lächelte William aufmunternd zu. »Kommt! Lasst uns erst einmal zu uns gehen und etwas essen. Ich wollte eure Mutter ohnehin fragen, ob ich etwas für euch tun kann. Und wie mir scheint, habt ihr tatsächlich Hilfe nötig.« Sie stand auf. Ehe sie es sich versah, war Debby aus dem Bett gesprungen und legte nun vertrauensvoll die Hand in die ihre. »Hast du auch Brot?«, fragte sie mit groß aufgerissenen Augen. »Ich würde so gerne mal wieder Brot essen. Bei uns gibt es immer nur Kartoffeln.«
    »Ich denke, ich habe noch ein wenig daheim und wir können auf dem Weg dorthin auch noch eines kaufen, ein kleines wenigstens. Was meint ihr?«
    Diese Aussicht zauberte auch William ein vorsichtiges Lächeln ins Gesicht. »Das wäre schön. Ich habe schon ziemlichen Hunger.«
    »Mary?« Cathy hatte sich zu der

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