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Stadt des Schweigens

Stadt des Schweigens

Titel: Stadt des Schweigens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margret Krätzig Erica Spindler
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gewesen und hatte gefroren.
    Im nächsten Moment hatten Flammen sie eingeschlossen. Sie war aufgewacht und hatte nach ihrem Vater geschrien.
    Es ist nicht schwer, diesen Traum zu deuten.
    Avery schaute auf die Nachttischuhr. Es war kurz nach neun. Sie warf die Decke zurück und stieg aus dem Bett. Während der Nacht war die Temperatur merklich gefallen, und im Haus war es eiskalt. Fröstelnd holte sie Leggings und Sweatshirt aus ihrem Koffer und zog beides an, ohne ihr Schlafshirt auszuziehen.
    Auf dem Weg zur Küche machte sie einen Abstecher zur Haustür, um die Zeitung hereinzuholen. Erst als sie nichts in der Einfahrt liegen sah, fielen ihr zwei Dinge ein. Die Gazette, die einzige Zeitung von Cypress Springs, erschien im zweiwöchentlichen Turnus mittwochs und samstags, und außerdem hatte der Inhaber und Chefredakteur die Auslieferung an ihren Vater zweifellos gestoppt. Auf den Schwellen von Cypress Springs würden sich keine Zeitungsstapel sammeln.
    Keine Zeitung? Der bloße Gedanke hatte etwas Entsetzliches.
    Kopfschüttelnd ging sie wieder hinein und schloss die Tür ab. Auf dem Weg in die Küche nahm sie sich vor, die Times Picayune aus New Orleans oder den Advocate aus Baton Rouge zu besorgen, wenn sie nachher in die Stadt ging.
    Der Ausflug wurde schneller nötig als gedacht, denn in der Küche gab es weder Brot und Milch, noch Eier oder Kaffee. Nach dem üppigen Mahl gestern Abend konnte sie aufs Essen zwar verzichten, aber nicht auf Kaffee.
    Nach der üblichen Morgentoilette zog sie ihre Reeboks an, öffnete die Haustür – und stieß prompt mit Cherry zusammen.
    Die lächelte strahlend. „Morgen, Avery. Und ich dachte schon, ich würde dich aufwecken.“
    „Keine Chance.“ Sie blickte zum Picknickkorb an Cherrys Seite. „Ich wollte mir gerade eine Zeitung und Kaffee besorgen. Du hast nicht zufällig beides dabei?“
    „Eine Thermoskanne mit französischem Kaffee. Allerdings keine Zeitung, bedaure.“
    „Du rettest mir das Leben. Komm herein.“
    Cherry trat ein. „Mir ist eingefallen, dass dein Vater keinen Kaffee trank, und ich dachte mir, du könntest einen gebrauchen. Einen starken.“
    Es stimmte. Ihre Mutter hatte Kaffee getrunken, aber ihr Vater nicht. Cherry hatte daran gedacht, im Gegensatz zu ihr. Was war denn bloß los mit ihr?
    „Und ich habe angenommen, dass du noch keine Zeit hattest, zum Markt zu gehen.“ Sie hielt den Korb hoch. „Moms selbst gebackene Brötchen und Pfirsichmarmelade.“
    Avery lief das Wasser im Mund zusammen. „Hast du eine Ahnung, wie lange es her ist, dass ich ein richtig gutes Brötchen gegessen habe?“
    „Ich vermute mal seit deinem letzten Besuch hier“, erwiderte Cherry, folgte Avery in die Küche und stellte den Korb auf die Arbeitsplatte. „Die Yankees können einfach keine anständigen Brötchen backen. So, jetzt ist es heraus.“
    Avery lachte. Vermutlich hatte Cherry Recht. Anständige Backpulverbrötchen zu backen war für Mädchen aus dem Süden eine Art Initiationsritus. Und wie bei so vielen dieser typisch weiblichen Tests hatte sie auch darin versagt.
    Cherry war bestens vorbereitet. Sie entnahm dem Korb Platzdeckchen mit passenden Servietten, Geschirr, Besteck und eine kleine Vase, die sie mit Wasser füllte und mit einer Rose schmückte. „So, da hätten wir einen anständigen Frühstückstisch.“
    Avery schenkte Kaffee ein, und sie setzten sich. Die Finger um den warmen Becher gelegt, gab sie beim ersten Schluck einen Laut des Wohlbehagens von sich.
    „Schlechte Nacht gehabt?“ fragte Cherry mitfühlend und führte ihren Becher an die Lippen.
    „Sehr schlecht. Erst konnte ich nicht schlafen, und dann hatte ich Albträume.“
    „Das war wohl zu erwarten, oder?“
    Avery wandte den Blick ab und räusperte sich. „Es war sehr lieb von dir, mir Frühstück zu bringen. Ich bin wirklich dankbar, dass du dir die Mühe gemacht hast.“
    „War mir ein Vergnügen.“ Cherry glättete die Serviette auf ihrem Schoß. „Wie schon gesagt, du hast mir und uns allen sehr gefehlt.“ Sie sah Avery in die Augen. „Du gehörst zu uns, das wird sich nie ändern.“
    „Versuchst du mir etwas zu sagen, Cherry?“ fragte Avery lächelnd. „Zum Beispiel, auch wenn man die Kleinstadt verlässt, bleibt man immer ein Kleinstädter.“
    „So ähnlich.“ Sie erwiderte das Lächeln und beugte sich leicht vor. „Aber meiner bescheidenen Meinung nach ist daran nichts falsch.“
    Lachend nahm Avery sich ein Brötchen und brach ein Stück ab. Der Teig

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