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Stadt ohne Namen

Stadt ohne Namen

Titel: Stadt ohne Namen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H.P. Lovecraft
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eine Steinmauer oder eine verirrte Kuh, sondern hohes Gras und riesige Bäume und Massen von Heidekraut, das vielleicht schon die ersten Indianer gesehen haben mochten. Als er langsam östlich weiterkletterte, höher über der Flußmündung zur Linken und näher und näher zur See, fand er den Weg zunehmend schwieriger, bis er sich fragte, wie die Bewohner des unbeliebten Ortes es fertigbrächten, die Außenwelt zu erreichen, und ob sie oft zum Einkaufen nach Arkham kämen.
    Dann wurden die Bäume spärlicher und weit unter ihm zur Rechten sah er die Hügel und die alten Dächer und Türme von Kingsport. Sogar Central Hill sah aus dieser Höhe wie ein Zwerg aus, und er konnte gerade den alten Friedhof beim Gemeinde−Hospital ausmachen, unter dem, wie das Gerücht besagte, einige schreckliche Höhlen und Gänge lauerten. Vor ihm lag dürftiges Gras und verkrüppelte Blaubeerbüsche und dahinter der nackte Fels der Klippe und die dünne Spitze des gefürchteten grauen Hauses. Der Grat wurde jetzt schmäler, und Olney schwindelte ob seiner Einsamkeit am Himmel, südlich von ihm lag 31
    der fürchterliche Steilabhang über Kingsport, nördlich von ihm ein senkrechter Absturz von nahezu einer Meile bis zur Flußmündung. Plötzlich tatsich eine große Spalte, zehn Fuß tief, vor ihm auf, so daß er sich mit den Händen hinunterarbeiten mußte, auf einen abschüssigen Boden fiel und dann gefährlich einen natürlichen Hohlweg an der entgegengesetzten Wand hinaufklettern mußte. So, dies war der Weg, auf dem die Bewohner des unheimlichen Hauses zwischen Himmel und Erde gehen mußten!
    Als er aus der Spalte herauskletterte, zog sich ein Morgennebel zusammen, aber er sah deutlich das hochragende, unheilige Haus vor sich; die Wände so grau wie der Fels und der hohe Giebel gegen die milchweißen Dämpfe von der Seeseite. Und er bemerkte, daß an der Landseite sich keine Tür befand, sondern nur einige kleine Gitterfenster mit blinden Butzenscheiben, die nach der Art des siebzehnten Jahrhunderts mit Blei gefaßt waren. Um ihn herum war nichts als Wolken und Chaos, und er konnte hinter der Weiße des unbegrenzten Raumes nichts erkennen. Er war mit diesem merkwürdigen und beunruhigenden Haus am Himmel allein, und als er sich zur Vorderseite schlich und sah, daß die Mauer mit dem Klippenrand eine Senkrechte bildete, so daß die einzige schmale Tür nur vom leeren Raum aus erreichbar war, empfand er einen deutlichen Schrecken, den die Höhe allein nicht ganz erklärlich machte. Es war äußerst sonderbar, wie derart wurmzerfressene Schindeln noch halten oder derart zerbröckelnde Ziegel noch einen aufrechtstehenden Kamin bilden konnten.
    Als der Nebel sich verdichtete, schlich Olney an die Fenster an der Nord−, West− und Südseite und probierte sie, fand sie aber alle verschlossen. Er war fast froh, daß sie verschlossen waren, denn je mehr er von dem Haus sah, um so weniger hatte er den Wunsch, ins Innere zu gelangen. Dann ließ ein Ton ihn aufmerksam werden. Er hörte das Klappern eines Schlosses und das Öffnen eines Riegels und ein langes Knarren folgte, als ob eine schwere Tür langsam und vorsichtig geöffnet würde. Das alles geschah an der dem Ozean zugekehrten Seite, die er nicht sehen konnte, wo das schmale Portal sich in den leeren Raum hinaus Tausende von Fuß im nebligen Himmel über den Wolken öffnete.
    Dann folgte ein schweres, bedächtiges Herumtrampeln im Haus und Olney hörte, wie die Fenster geöffnet wurden, erst die an der Nordseite ihm gegenüber, dann die an der Westseite gerade ums Eck herum. Als nächstes würden die Südfenster drankommen, die unter dem tiefgezogenen Dach, wo er stand, und man muß betonen, daß er sich bei dem Gedanken an das abscheuliche Haus auf der einen und den leeren Raum der oberen Atmosphäre mehr als unbehaglich fühlte. Als jemand an den nächstgelegenen Fensterflügeln herumtastete, kroch er wieder zur Westseite hinüber und drückte sich neben dem nunmehr offenen Fenster gegen die Mauer. Es war klar, daß der Besitzer heimgekommen war, aber er war nicht von der Landseite her gekommen und auch nicht mit einem Ballon oder Luftschiff, das man sich vorstellen könnte.
    Wieder ertönten Schritte, und Olney drückte sich zur Nordseite herum, aber bevor er einen sicheren Hafen finden konnte, rief eine Stimme leise nach ihm, und er wußte, daß er nun seinem Gastgeber gegenübertreten müsse.

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    Aus dem Westfenster schaute ein großes, schwarzbärtiges Gesicht heraus, dessen

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