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Stadt ohne Namen

Stadt ohne Namen

Titel: Stadt ohne Namen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H.P. Lovecraft
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Augen mit einem Ausdruck leuchteten, der von unerhörten Anblicken sprach. Aber die Stimme war sanft und von seltsam altfränkischer Art, so daß Olney nicht zurückschreckte, als eine braune Hand sich herausstreckte, um ihm über den Sims in das niedrige Zimmer mit schwarzen Eichentäfelungen und geschnitzten Tudormöbeln hineinzuhelfen. Der Mann war sehr altmodisch gekleidet und hatte einen unbestimmten Nimbus von Seesagen und Träumen von alten Galeonen um sich. Olney erinnert sich nicht mehr an all die Wunder, die er erzählte, oder auch wer er war; aber er sagt, daß er fremdartig und gütig war und erfüllt vom Zauber unergründlicher Weiten von Zeit und Raum.Das kleine Zimmer erschien in einem wäßrig−grünen Licht, und Olney sah, daß die nach Osten gelegenen Fenster nicht offen, sondern gegen die neblige Luft mit dunklen, dicken Scheiben wie die Böden von alten Flaschen geschlossen waren.
    Sein bärtiger Gastgeber schien jung zu sein, dennoch blickten seine Augen wie von alten Geheimnissen durchdrungen, und nach den Geschichten von alten Wunderdingen, die er erzählte, muß man annehmen, daß die Leute im Ort recht hatten, wenn sie behaupteten, er habe sich mit den Nebeln der See und den Wolken des Himmels unterhalten, seitdem es einen Ort gab, der sein schweigendes Wohnen von der Ebene unten beobachten konnte. Und der Tag ging weiter, und Olney lauschte noch immer den Geschichten aus alter Zeit und von fernen Gegenden und vernahm, wie die Könige von Atlantis mit schlüpfrigen, gotteslästerlichen Geschöpfen kämpften, die aus Spalten im Meeresboden emporkrochen, und wie die mit Pfeilern versehenen, tangbehangenen Tempel Poseidons von verlorenen Schiffen immer noch zu mitternächtlicher Stunde erspäht werden können, die bei ihrem Anblick wissen, daß sie verloren sind. Die Jahre der Titanen wurden heraufbeschworen, aber sein Gastgeber wurde zurückhaltend, als er vom dunklen Uralter des Chaos sprach, ehe die Götter oder die Ältesten geboren wurden und als die anderen Götter kamen, um auf dem Gipfel des Hathey−Kla in der steinigen Wüste bei Ulthar, hinter dem Flusse Skai zu tanzen.
    An dieser Stelle klopfte es an der Tür, dieser alten Tür aus nägelbeschlagener Eiche, unter der nur der Abgrund der weißen Wolken lag. Olney fuhr erschreckt in die Höhe, aber der bärtige Mann machte ihm ein Zeichen, still zu sein und ging auf Zehenspitzen zur Tür, um durch ein winziges Guckloch hinauszuspähen. Was er sah, gefiel ihm nicht, weshalb er den Finger an die Lippen legte und auf Zehenspitzen herumging, um die Fenster zu schließen und zu versperren, bevor er zu der alten Sitzbank neben seinem Gast zurückkehrte.
    Dann sah Olney vor den durchsichtigen Vierecken der kleinen Fenster nacheinander einen seltsamen schwarzen Umriß auftauchen, als der Besucher sich neugierig herumbewegte, ehe er wieder fortging, und er war froh, daß sein Gastgeber auf das Klopfen hin nicht geöffnet hatte. Denn es gibt Merkwürdiges im großen Abgrund, und der Traumsucher muß aufpassen, daß er nicht das Falsche aufstöbert oder ihm begegnet.
    Dann begannen die Schatten dichter zu werden, zuerst kleine, verstohlene unter dem Tisch, dann etwas frechere in den dunklen, getäfelten Ecken. Der bärtige Mann machte rätselhafte Gebetsgesten und entzündete große Kerzen in merkwürdig gearbeiteten Messingleuchtern. Er warf häufig Blicke zur Tür, als ob er jemand erwarte, und schließlich schien sein Blick durch ein einzigartiges 33
    Klopfen beantwortet zu werden, das offenbar einem alten Geheimcode folgte.
    Diesmal schaute er nicht einmal durchs Guckloch, sondern drehte den großen Eichenbalken herum, schob den Riegel zurück, schloß die schwere Tür auf und öffnete sie weit den Sternen und dem Nebel.
    Dann schwebten beim Ton dunkler Harmonien aus der Tiefe all die Träume und Erinnerungen an die versunkenen Mächtigen der Erde in den Raum. Goldene Flammen tanzten über tangbehangenen Locken, so daß Olney wie geblendet war, als er ihnen Ehrerbietung erwies. Neptun mit dem Dreizack war da, muntere Tritonen und phantastische Nereiden, und auf dem Rücken von Delphinen thronte eine riesige, gerippte Muschelschale, in der die graue, schreckliche Gestalt des uralten Nodens, des Herrn der großen Tiefe, saß. Und die Muschelhörner der Tritonen erschollen unheimlich, und die Nereiden produzierten seltsame Töne, indem sie auf die grotesken, widerhallenden Schalen unbekannter lauernder Bewohner aus schwarzen Höhlen des Meeres

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