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Stadt ohne Namen

Stadt ohne Namen

Titel: Stadt ohne Namen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H.P. Lovecraft
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schlugen. Dann streckte der silberhaarige Nodens seine dünne Hand aus und half Olney und dessen Gastgeber in die riesige Muschel, worauf die Muschelhörner und Gongs mit wildem und fürchterlichem Lärm einsetzten.
    Hinaus in den endlosen Äther wirbelte der mythische Zug, und der Lärm seiner Schreie verlor sich im Echo des Donners.
    Die ganze Nacht beobachtete man in Kingsport die hohe Klippe, wenn Sturm und Nebel den Blick darauf freigaben, und als gegen die frühen Morgenstunden sich die kleinen, düsteren Fenster verdunkelten, wisperte man von Bedrohung und Unglück. Und 01−neys Kinder und seine dicke Frau beteten zum gütigen, regulären Gott der Baptisten und hofften, daß der Reisende sich einen Schirm und Gummizeug ausleihen würde, wenn nicht der Regen in der Frühe aufgehört hätte. Dann schwamm die Morgendämmerung tropfend und nebelbeladen aus der See, und die Bojen erklangen feierlich in Tiefen weißen Äthers. Und mittags erklangen elfische Homer über dem Ozean, als Olney, trocken und leichtfüßig, die Klippen hinab zum alten Kingsport kletterte, mit einem Ausdruck ferner Welten im Auge. Er konnte sich nicht erinnern, was er in der Hütte des noch immer namenlosen Eremiten unter dem Himmel geträumt habe, oder sagen, wie er diesen Felsen hinuntergeklettert sei, der noch nie von einem anderen Fuß durchquert worden war. Noch konnte er über die Sache sprechen, außer mit dem schrecklichen alten Mann, der danach merkwürdige Dinge in seinen langen, weißen Bart murmelte und schwor, daß der Mann, der von dem Felsen herabgestiegen war, nicht mehr ganz der Mann sei, der hinaufgestiegen war, und daß irgendwo unter dem grauen Spitzdach oder inmitten unfaßbarer Bereiche des unheimlichen weißen Nebels immer noch der verlorene Geist dessen verweilte, der Thomas Olney war.
    Und seit jener Stunde hat der Philosoph sich durch die sich eintönig dahinschleppenden Jahre des grauen Alltags und der Mühseligkeit abgearbeitet, gegessen und geschlafen und ohne Murren die einem Staatsbürger zukommenden Pflichten erfüllt. Er sehnt sich nicht mehr nach dem Zauber ferner Hügel oders eufzt nach Geheimnissen, die wie grüne Riffe aus der bodenlosen See hervorlugen. Das Gleichmaß seiner Tage macht ihm keinen Kummer mehr, und wohlgeordnete Gedanken genügen seiner Einbildungskraft.
    Sein gutes Weib wird immer dicker und die Kinder älter, prosaischer und nützlicher und er unterläßt es nie, zur gegebenen Zeit stolz und korrekt zu 34
    lächeln. In seinem Auge ist kein ruheloses Leuchten mehr, und wenn er je nach feierlichen Glocken oder fernen, einschen Hörnern lauscht, dann nur des Nachts, wenn alte Träume herumwandern. Er ist nie mehr nach Kingsport zurückgekehrt, denn seine Familie mochte die komischen alten Häuser nicht und beklagte sich, daß das Abflußsystem schlecht und unmöglich sei. Sie besitzen jetzt einen schmucken Bungalow in den Bristol Highlands, wo keine hohen Felsen sich auftürmen und die Nachbarn städtisch und modern sind.
    Aber in Kingsport gehen seltsame Geschichten um, und selbst der schreckliche alte Mann gibt etwas zu, das ihm sein Großvater nicht erzählt hat. Denn nun, wenn der Wind ungestüm von Norden her am hochgelegenen alten Haus vorbeifegt, das eins ist mit dem Firmament, ist nun endlich das bedeutungsvolle, brütende Schweigen gebrochen, welches die Bewohner der kleinen Hütten am Meer unruhig machte. Alte Leute berichten von lieblichen Stimmen, die sie dort singen hören, und von Gelächter, das von überirdischer Freude überquillt, und sie sagen, daß des Abends die kleinen, niederen Fenster heller erleuchtet seien als früher. Sie sagen auch noch, daß eine kräftige Morgenröte öfter dort erscheint, die im Norden blau mit Visionen erstarrter Welten erstrahlt, während die Klippe und das Haus schwarz und phantastisch sich gegen das wilde Aufleuchten abheben. Und die Nebel der Morgendämmerung sind dicker, und die Matrosen sind sich nicht völlig sicher, ob all das gedämpfte Läuten in Richtung See das der feierlichen Bojen ist. Sie wünschen nicht, daß die Seelen ihrer jungen Leute den heimischen Herd und die Tavernen mit Giebeldächern des alten Kingsport verlassen, aber sie wünschen auch nicht, daß das Lachen und Singen in diesem hochgelegenen Felsenhort lauter werde. Denn da die Stimme, die neu erschienen ist, neue Nebel von der See und aus dem Norden neues Licht gebracht hat, so meinen sie, daß noch mehr Stimmen noch mehr Nebel und mehr Licht bringen werden,

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