Stadt ohne Namen
Freunde mied und seine wenigen Bekannten in einem der drei Parterrezimmer empfing, die er in Ordnung hielt −eine riesige Bibliothek mit hoher Decke, deren Wände mit beschädigten Büchern von gewichtigem, altem und etwas abstoßendem Aussehen vollgepackt waren. Das Wachstum der Stadt und schließlich ihre Einbeziehung in den Brooklyn−Distrikt, hatte Suydam nichts bedeutet, und er wurde in der Stadt immer weniger bekannt. Ältere Leute pflegten noch auf der Straße auf ihn hinzuweisen, aber für den größten Teil der neueren Bevölkerung war er lediglich ein merkwürdiger, beleibter alter Knabe, dessen ungepflegtes weißes Haar, Stoppelbart, speckige schwarze Kleidung und Stock mit Goldknauf ihm amüsierte Blicke einbrachten, aber nicht mehr.
Malone hatte ihn nicht einmal vom Sehen gekannt, bis die Pflicht ihn in den Fall verwickelte, aber er hatte indirekt von ihm als einem ausgezeichneten Kenner mittelalterlichen Aberglaubens gehört, und er hatte so nebenbei daran gedacht, ein vergriffenes Pamphlet über die Kabbala und die Faustsage bei ihm einzusehen, aus dem ein Freund nach dem Gedächtnis zitiert hatte. Suydam wurde zum »Fall«, als entfernte einzige Verwandte eine gerichtliche Entscheidung bezüglich seines Geisteszustandes zu erreichen suchten. Der 40
Außenwelt erschien ihre Handlungsweise unerwartet, war aber wirklich erst nach langer Beobachtung und bekümmerten Debatten eingeleitet worden. Sie fußte auf bestimmten merkwürdigen Veränderungen seiner Redeweise und seiner Gewohnheiten, gefährlichen Andeutungen auf bevorstehende Wunder und unerklärliche häufige Besuche in einer verrufenen Gegend Brooklyns. Er war mit den Jahren immer schäbiger geworden und schlich nun wie ein wahrhaftiger Bettler herum; wurde gelegentlich von beschämten Freunden in Untergrundbahnstationen gesehen, oder wie er sich auf den Bänken um Borough Hall herumdrückte und sich mit Gruppen dunkelhäutiger, übelaussehender Fremder unterhielt. Wenn er sprach, dann schwatzte er von unbegrenzten Mächten, die beinah in seiner Reichweite lägen, und wiederholte mit wissendem Seitenblick solch mystische Worte oder Namen wie
»Sephiroth«, »Ashmodai« und »Samael«. Der Prozeß enthüllte, daß er sein Einkommen aufbrauche und sein Kapital verschleudere, um merkwürdige Bücher zu kaufen, die er aus London und Paris kommen ließ, und für den Unterhalt einer schmutzigen Parterrewohnung im Red−Hook−Distrikt, wo er fast jede Nacht verbrachte und merkwürdige Abordnungen, gemischt aus Radaubrüdern und Ausländern, empfing und wo er offensichtlich hinter den grünen Läden seiner geheimnisvollen Fenster eine Art feierlicher Handlung vollzog. Detektive, die den Auftrag hatten, ihn zu beschatten, berichteten von merkwürdigen Schreien, Gesang und tanzenden Füßen, Geräuschen dieser mitternächtlichen Riten, die auf die Straße drangen, und sie schauderten ob der merkwürdigen Ekstase und Hingabe, trotz der Alltäglichkeit unheimlicher Orgien in dieser verkommenen Gegend. Als die Sache indessen zur Verhandlung kam, brachte Suydam es fertig, in Freiheit zu bleiben. Vor dem Richter waren seine Manieren gewandt und vernünftig, und er gab sein merkwürdiges Benehmen und die extravagante Ausdrucksweise, die er sich durch außerordentliche Hingabe an seine Studien und Untersuchungen angewöhnt hatte, offen zu. Er sei, so sagte er, mit der Untersuchung gewisser Einzelheiten europäischer Tradition beschäftigt, die engen Kontakt mit Ausländergruppen und ihren Liedern und Volkstänzen notwenig mache. Der Gedanke, daß irgendeine niedere Geheimgesellschaft ihn ausnütze, wie seine Verwandten angedeutet hatten, sei offenbar absurd und zeige, wie wenig Verständnis sie für ihn und seine Arbeit hätten. Nachdem er mit seinen ruhigen Erklärungen gesiegt hatte, durfte er ungehindert gehen und die von den Suydams, Corlears und van Brunts bezahlten Detektive wurden mit resigniertem Abscheu zurückgezogen.
An diesem Punkt traten Bundesinspektoren gemeinsam mit der Polizei, unter ihnen Malone, in den Fall ein. Das Gesetz hatte die Suydam−Angelegenheit mit Interesse beobachtet und war in vielen Fällen gebeten worden, den Privatdetektiven zu helfen. Während dieser Arbeit stellte sich heraus, daß Suydams neue Verbündete zu den schwärzesten und lasterhaftesten Verbrechern in Red Hooks abseits gelegenen Gassen gehörten und daß mindestens ein Drittel davon bekannte Wiederholungstäter in Sachen wie Dieberei, Ruhestörung und
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