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Stadt ohne Namen

Stadt ohne Namen

Titel: Stadt ohne Namen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H.P. Lovecraft
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Wahrscheinlichkeit nach nicht mehr erleben werde, um es selbst zu tun, da die mich umgebenden Verhältnisse ebenso bedrohlich wie ungewöhnlich sind, und sie beziehen sich nicht nur auf die hoffnungslose Kampfunfähigkeit des U−29, sondern auch auf die in ihrer Art verhängnisvolle Verminderung meines eisernen Willens.
    Am Nachmittag des 18. Juni, wie durch Funkspruch dem U−61, unterwegs nach Kiel, mitgeteilt wurde, torpedierten wir den britischen Frachter Victory, zwischen New York und Liverpool, bei 45 Grad 16 Minuten nördlicher Breite und 28 Grad 34 Minuten westlicher Länge und erlaubten der Besatzung, in die Boote zu steigen, um für das Admiralitätsarchiv gute Filmbilder zu bekommen.
    Das Schiff sank sehr malerisch, mit dem Bug voraus, das Heck hoch aus dem Wasser aufragend, während der Schiffsrumpf senkrecht in die Tiefe schoß.
    Unsere Kamera ließ nichts aus, und ich bedauere, daß solch ein guter Filmstreifen nie in Berlin ankommen sollte. Danach versenkten wir die Rettungsboote mit unseren Bordgeschützen und gingen auf Tauchstellung.Als wir ungefähr bei Sonnenuntergang wieder zur Oberfläche emporstiegen, fanden 84
    wir auf Deck die Leiche eines Matrosen, dessen Hände in merkwürdiger Weise die Reling umklammerten. Der arme Kerl war jung, ziemlich dunkel und sehr hübsch, vielleicht ein Italiener oder Grieche, und er gehörte zweifellos zur Besatzung der Victory. Er hatte offensichtlich gerade bei dem Schiff Zuflucht gesucht, das gezwungen gewesen war, sein eigenes zu vernichten − ein Opfer mehr des ungerechten Aggressionskrieges, den die Engländer gegen unser Vaterland führen. Unsere Leute durchsuchten ihn nach Andenken und fanden in seiner Rocktasche einen merkwürdigen geschnitzten Elfenbeingegenstand, der einen lorbeerbekränzten Jünglingskopf darstellte. Mein Offizierskamerad, Leutnant Klenze, glaubte, daß der Gegenstand sehr alt und von künstlerischem Wert sei, weshalb er ihn dem Mann abnahm und für sich behielt. Wie er je in den Besitz eines gewöhnlichen Matrosen gekommen war, konnte sich keiner von uns vorstellen.
    Als wir den Toten über Bord warfen, gab es zwei Zwischenfälle, die die Mannschaft stark beunruhigten. Die Augen des Burschen waren geschlossen gewesen, aber als man ihn zur Reling schleifte, öffneten sie sich halb, und einige unterlagen der seltsamen Täuschung, daß sie Schmidt und Zimmer, die sich über den Leichnam beugten, unverwandt und spöttisch anstarrten.
    Bootsmann Müller, ein älterer Mann, der es hätte besser wissen müssen, wäre er nicht ein abergläubischer Elsässer gewesen, wurde von diesem Eindruck so erregt, daß er den Leichnam im Wasser beobachtete, und er schwor, daß er nach leichtem Untertauchen die Glieder in Schwimmstellung gebracht habe und gen Süden unter Wasser fortgeschwommen sei. Klenze und mir gefiel diese Zurschaustellung bäuerlicher Unwissenheit gar nicht, und wir wiesen die Leute scharf zurecht, besonders Müller.
    Am nächsten Tag ergab sich aus der Unpäßlichkeit einiger Besatzungsmitglieder eine sehr unangenehme Lage. Sie litten offenbar unter der Nervenbelastung unserer langen Reise und hatten schlechte Träume gehabt.
    Einige erschienen ganz verwirrt und benommen, und nachdem ich mich überzeugt hatte, daß sie ihre Krankheit nicht simulierten, entband ich sie von ihren Pflichten. Die See war ziemlich rauh, weshalb wir auf eine Tiefe gingen, in der die Wogen weniger störend waren. Hier war es, trotz einer irgendwie rätselhaften Südströmung, die wir auf unseren ozeanographischen Karten nicht identifizieren konnten, relativ ruhig. Das Stöhnen der Kranken war entschieden ärgerlich, aber da sie offenbar die übrige Mannschaft nicht demoralisierten, ergriffen wir keine schärferen Maßnahmen. Wir hatten die Absicht, zu bleiben, wo wir waren, und das Linienschiff Dacia abzufangen, das in Agentenmeldungen aus New York erwähnt worden war.
    Am frühen Abend stiegen wir zur Oberfläche empor und fanden die See nicht mehr so schwer. Die Rauchfahne eines Schlachtschiffes hing am nördlichen Horizont, aber unser Abstand und unsere Fähigkeit unterzutauchen machte uns sicher. Worüber wir uns viel mehr ärgerten, war das Geschwätz des Bootsmannes Müller, das immer verworrener wurde, als die Nacht heraufzog.
    Er war in verabscheuungwürdig kindischer Verfassung und schwatzte von Sinnestäuschungen toter Körper, die unter Wasser an den Seitenfenstern vorbeitrieben, Körper, die ihn anstarrten und an die er sich trotz ihres

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