Stadt ohne Namen
selber stolz in dem Bewußtsein, wie das Vaterland mein Andenken ehren und wie man meine Söhne lehren würde, Männer wie ich zu sein.
Am 9. August erblickten wir den Meeresboden und ich ließ einen starken Scheinwerferstrahl darübergleiten. Es war eine ungeheuere wellige Ebene, meist mit Seetang bedeckt und mit den Schalen kleiner Weichtiere übersät. Hier und dort sah man schlammige Dinge von rätselhaftem Umriß, mit Tang behangen und von Entenmuscheln überkrustet, die Klenze als alte Schiffe erklärte, die in ihrem nassen Grab ruhen. Ein Ding erschien ihm besonders rätselhaft, ein spitz hervorragendes Stück festen Materials, das an seinem Scheitelpunkt nahezu vier Fuß aus dem Meeresboden emporragte, ungefähr zwei Fuß dick mit flachen Seiten und glatten Oberflächen, die in sehr stumpfem Winkel aufeinandertrafen. Ich nannte die Spitze ein Stück Felsausbiß, aber Klenze glaubte, Bildwerke darauf zu erkennen. Nach einer Woche begann er zu zittern und wandte dem Anblick den Rücken zu, als ob er Angst habe, dennoch konnte er keine Erklärung geben, außer daß er sich von der riesigen Ausdehnung, der Dunkelheit, Entrücktheit, Altertümlichkeit und dem Geheimnisvollen der Meeresabgründe überwältigt fühlte. Sein Geist war ermüdet, aber ich bin und bleibe ein Deutscher und nahm zweierlei schnell wahr, daß U−29 dem Wasserdruck der Tiefsee blendend standhielt und daß die seltsamen Delphine noch immer um uns waren, selbst in einer Tiefe, in der die Existenz höherer Lebewesen von den meisten Naturwissenschaftlern für unmöglich gehalten wird. Ich war sicher, daß ich unsere Tiefe vorher 88
überschätzt hatte, aber nichtsdestoweniger mußten wir uns tief genug befinden, um diese Phänomene bemerkenswert erscheinen zu lassen. Unsere Geschwindigkeit gen Süden, nach dem Meeresboden zu schätzen, war ungefähr so, wie ich sie nach den auf höherem Niveau angetroffenen Lebewesen berechnet hatte.
Um 3.15 Uhr nachmittags schnappte der arme Klenze völlig über. Er war im Kommandoturm gewesen und hatte den Scheinwerfer bedient, als ich ihn in die Bibliotheksabteilung, wo ich lesend saß, hereinplatzen sah, und sein Gesicht verriet ihn sofort. Ich werde wiederholen, was er sagte, und die Worte, die er betonte, unterstreichen: »ER ruft! ER ruft! Ich höre ihn. Wir müssen gehen!«
Während er dies sagte, nahm er das Elfenbeinbild vom Tisch, steckte es in die Tasche und ergriff meinen Arm in dem Bestreben, mich über die Kajütentreppe auf Deck zu schleifen. Ich begriff augenblicklich, daß er die Luke zu öffnen beabsichtigte, um sich mit mir ins Wasser draußen zu stürzen; ein närrischer Einfall selbstmörderischer und mörderischer Manie, auf den ich keineswegs vorbereitet war. Als ich mich sträubte und ihn zu beruhigen versuchte, wurde er gewalttätiger und sagte: »Komm jetzt − warte nicht bis später, es ist besser, zu bereuen und Vergebung zu erlangen, als Trotz zu bieten und verdammt zu werden.« Dann versuchte ich das Gegenteil der Beruhigungstaktik und sagte ihm, er sei verrückt − bemitleidenswert geisteskrank. Aber er blieb ungerührt und schrie:
»Wenn ich verrückt bin, dann ist es Barmherzigkeit! Mögen die Götter den Menschen bedauern, der in seiner Verstocktheit bis zum schrecklichen Ende bei Verstand bleibt! Komm und werde verrückt, solange ER dir noch Barmherzigkeit verheißt!«
Dieser Ausbruch schien den Druck in seinem Gehirn zu entlasten, denn als er fertig war, wurde er viel sanfter und bat mich, ihn allein gehen zu lassen, wenn ich ihn nicht begleiten wolle. Mein Weg wurde mir sofort klar. Er war zwar Deutscher, aber nur ein Rheinländer und ein Gemeiner und jetzt ein möglicherweise gefährlicher Verrückter. Indem ich auf seine Selbstmordpläne einging, konnte ich mich augenblicklich eines Menschen entledigen, der kein Kamerad mehr war, sondern eine Bedrohung. Ich bat ihn, mir das Elfenbeinbild zu geben, bevor er mich verließ, aber diese Bitte löste bei ihm ein derart unheimliches Gelächter aus, daß ich sie nicht wiederholte. Dann fragte ich ihn, ob er seiner Familie in Deutschland ein Andenken oder eine Haarlocke hinterlassen wolle, für den Fall, daß ich gerettet würde, aber er lachte nur noch einmal sein komisches Lachen. Während er die Leiter erstieg, begab ich mich zu den Druckhebeln und betätigte den Mechanismus, der ihn in den Tod sandte, in den entsprechenden Zeitabständen. Nachdem ich sah, daß er nicht mehr im Boot war, ließ ich den
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