Flieh, so schnell es geht!
Blutroter Abendhimmel. Die StraÃen dunkel, die Nacht fällt herab. Aber die Stadt ist wach. Sie schläft nie, Bigeyes, sie mag vor sich hindösen, aber sie schläft nie â und sie sieht zu viel.
Wie du.
Glaub nicht, dass ich das nicht weiÃ, Bigeyes. Du bist wie ein Irrer, der nie schläft. Viel zu neugierig. Du schnüffelst in meinem Leben herum, egal, ob mir das gefällt. Mir gefällt das aber nicht mehr, klar? Früher war das anders, als ich jemanden brauchte, der mir Gesellschaft leistet. Momentan leisten mir genug Leute Gesellschaft. Aber es sieht nicht so aus, als ob du verschwinden würdest. Wer hält sonst noch die Augen offen?
Das ist die Frage.
Eine Menge Leute suchen uns. Die Polizei, die Mädchenbande, all die anderen. Ich mag gar nicht daran denken. Die Vergangenheit ist zurückgekehrt und hat ihre Krallen in meinen Rücken geschlagen. Das Leben ist wieder gefährlich und ich bin nicht mehr das, was ich früher war.
Becky hat einen komischen Gang, sie schlurft. Ob sie bloà müde ist oder sich wehgetan hat, ist schwer zu sagen. Sie hat Schiss, das weià ich. Sie ist völlig fertig, seit Trixi getötet wurde und Tammy und ihre Bande hinter uns her sind.
Sie ist keine Wildkatze wie Tammy und die anderen. Sie dachte, sie wäre es, aber das war ein Irrtum.
Ich werde nicht schlau aus ihr. Sie ist mir nicht egal, ich mag sie â ein bisschen. Aber ich blicke bei ihr nicht durch. In der Wohnung sind wir gut miteinander ausgekommen, aber auf der StraÃe verschlieÃt sie sich wieder.
Gerade das kann ich jetzt nicht brauchen. Sie müsste jetzt stark sein. Stattdessen ist sie wie ein Klotz am Bein. Sechzehn Jahre alt und sie scheint überhaupt keinen Instinkt zu haben, nicht einmal für Jaz.
Allein wegen der Kleinen hab ich mich noch nicht abgeseilt. Wennâs Becky allein gewesen wäre, hätte ich gesagt, trennen wir uns. Aber ich kann die Kleine doch nicht im Stich lassen!
Schau sie nur mal an. Drei Jahre alt, hat in einer Drogenhöhle gewohnt und weià Gott wo sonst noch, hat Becky als Mutter, verbringt die meiste Zeit mit Junkies, Herumtreibern und Mädchen, die dich abstechen wollen. Und jetzt spaziert sie an meiner Hand durch den Abend, als ob sie zu einem Kindergeburtstag gehen würde.
Als obâs gar keine Gefahren gäbe. Als ob wir wüssten, wohin wir gehen. In Wirklichkeit haben wir kein Ziel. Nur die Zukunft. Aber das ist kein Zuhause.
Das ist kein Zuhause für Jaz. Auch nicht für Becky und mich. Für niemanden mit einer Vergangenheit. Und das ist der springende Punkt, Bigeyes. Wer in die Zukunft geht, muss auch eine Zukunft haben.
Ob ich eine Zukunft habe, weià ich nicht. Jedenfalls habe ich eine Vergangenheit, genauso wie Bex, ganz gleich, wie die aussieht. Und jetzt habe ich diese ScheiÃgegenwart. Nicht gerade das, was man sich wünscht. Dunkle StraÃen, dunkle Häuser, eine düstere Stadt und einen düsteren Himmel.
Becky schaut mich an.
»Blade?«
Ich wünschte, sie würde mich das nicht mehr nennen. Aber jetzt ist es zu spät. So viel hat sie erraten.
»Ja?«
»Wie weit noch?«
»Nicht mehr weit.«
»Das heiÃt?«
»Noch fünf Meilen.«
»Ist das nicht weit?«
Ich antworte nicht. Sie ist bloà sauer, weil ich ihr nicht sage, wohin wir gehen. Da hat sie recht, aber andererseits auch nicht. Für sie und mich sind fünf Meilen nicht weit. Vor allem wenn einem die Bullen und andere Typen auf den Fersen sind, machen fünf Meilen wirklich keine Angst. Das ist dann nur ein Klacks.
Aber für Jaz ist das anders.
Fünf Meilen sind für so ein Kindchen eine Strapaze. Nur weià ich keine andere Lösung. Als wir morgens die Wohnung verlassen haben, in der wir untergekommen waren, wusste ich noch nicht wohin. Ich wollte einfach nur weg.
Irgendwo anders hin.
Das war mein einziger Gedanke. Raus aus der Stadt, irgendwo hin, wo uns die Bullen und die Gang und all die anderen nicht finden würden. Aber dann ist mir etwas eingefallen, das uns weiterhelfen könnte. Wenn wir es bis dorthin schaffen. Keine Glanzidee, aber immerhin. Daran denke ich jetzt. Daran und wie ich Jaz und ihre ahnungslose Mutter dorthin bringe.
»Nicht schlappmachen, Bex.«
Sie sieht mich wütend an. Ich beachte das gar nicht, schaue stattdessen zu dem Mädchen hinunter.
»Jaz?«
Sie hebt das Köpfchen und schaut mir gerade in die
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