Stadtgeschichten - 01 - Stadtgeschichten
tatsächlich.
Als Mary Ann sich umsah, schlenderte gerade ein blonder Mann in einem Stanford-Sweatshirt auf eine Brünette in einem rückenfreien Jeanskleid zu. »Ähm … Entschuldige, aber kannst du mir vielleicht sagen, ob man besser Saffola-Öl oder Wesson-Öl nimmt?«
Das Mädchen sagte kichernd: »Wofür?«
»Das ist ja nicht zu fassen«, sagte Mary Ann und griff nach einem Einkaufswagen. »Jeden Mittwochabend?«
Connie nickte. »Das Wochenende ist auch nicht grade von Pappe.« Sie packte einen Wagen und stürzte sich in einen besonders belebten Gang. »Bis später. Es läuft besser, wenn man allein ist.«
Mary Ann schlenderte zur Obst- und Gemüseabteilung. Connies heidnisches Paarungsritual würde sie nicht daran hindern, hier einzukaufen.
Dann zupfte sie jemand am Ärmel.
Es war ein mondgesichtiger Kerl um die Fünfunddreißig. Er trug einen legeren Anzug mit einem weißen Kunstledergürtel und passenden Schuhen. »Sind das die Dinger, die man zum chinesisch Kochen braucht?« fragte er und deutete auf die Zuckerschoten.
»Ja«, sagte sie so wenig einladend wie möglich.
»Toll. Ich such schon die ganze Woche danach. In letzter Zeit fahr ich nämlich total auf chinesisches Essen ab. Ich hab mir schon einen Wok und so zugelegt.«
»Aha. Jedenfalls sind das die richtigen. Also dann … gutes Gelingen.« Sie kratzte im wahrsten Sinn des Wortes die Kurve und steuerte auf die Kasse zu. Ihr Angreifer ließ nicht locker.
»He … hallo, könntest du mir nicht ein bißchen was über chinesisches Essen erzählen?«
»Wie käme ich dazu.«
»Zier dich nicht so. Die meisten Mädels hier in der Stadt stehen total auf chinesisches Essen.«
»Dann bin ich die Ausnahme.«
»Okay. Schon verstanden. Jeder nach seiner Fasson, was? Worauf stehst du denn?«
»Aufs Alleinsein.«
»Okay. Schon gut, schon gut.« Er zögerte einen Augenblick und spuckte dann seinen Abgangssatz hin: »Du hast wohl grade deine Tage, du Zicke!«
Er ließ sie zwischen den Gefriertruhen stehen. Ihre Fingerknöchel traten weiß hervor, so fest hielt sie den Rand einer der Truhen umklammert, und ihr Atem klang wie ein gepreßtes Notsignal. »Mein Gott«, flüsterte sie mit trockener Stimme, als eine einzelne Träne auf eine Packung Sara-Lee-Brownies fiel.
»Reizend«, sagte ein Mann neben ihr.
Mary Ann wurde stocksteif. »Was?«
»Ihr Freund dort … der mit der spritzigen Antwort. Ein wirklich vornehmer Mensch.«
»Sie haben alles mit angehört?«
»Nur die zärtlichen Abschiedsworte. War der Rest besser?«
»Nein. Es sei denn, man findet es toll, sich mit Charlie Manson über Zuckerschoten zu unterhalten.«
Der Mann zeigte beim Lachen schöne weiße Zähne. Mary Ann schätzte ihn auf ungefähr dreißig. Er hatte lockige braune Haare und blaue Augen und trug ein weiches Flanellhemd. »Manchmal trau ich hier meinen Augen nicht«, sagte er.
»Das kann ich mir vorstellen.« Hatte er sie weinen sehen?
»Das fürchterliche ist, daß die ganze Stadt übers Sichauseinandersetzen und Miteinanderkommunizieren und all den Scheiß aus dem Wassermannzeitalter redet, und dabei brechen sich die meisten noch immer einen ab, damit sie so wirken, wie sie nicht sind … Entschuldigung, ich hör mich wohl wie ein Briefkastenonkel an, was?«
»Nein. Ganz und gar nicht. Ich … bin ganz Ihrer Meinung.«
Er streckte ihr die Hand entgegen. »Ich heiße Robert.« Nicht Bob oder Robbie, sondern Robert. Kraftvoll und direkt. Sie ergriff seine Hand. »Ich bin Mary Ann Singleton.« Sie wünschte sich, daß er ihren Namen behalten würde.
»Tja … auch auf die Gefahr hin, mich wie Charlie Manson anzuhören … wie wär’s mit einem kleinen kulinarischen Ratschlag für einen glücklosen Mann?«
»Gern. Aber doch wohl nicht zu Zuckerschoten?«
Er lachte. »Nicht zu Zuckerschoten. Zu Spargel.«
Mary Ann hatte dieses Thema noch nie so aufregend gefunden. Sie las gerade Roberts Reaktion auf ihr Sauce-hollandaise-Rezept aus seinen Augen, als ein schnauzbärtiger junger Mann mit seinem Einkaufswagen heranrollte. »Dich kann man auch keine Minute allein lassen.« Er sprach mit Robert.
Robert gluckste. »Michael … das ist Mary Ann … äh …«
»Singleton«, ergänzte Mary Ann.
»Das ist Michael. Wir wohnen zusammen. Mary Ann hat mir ihr Hollandaise-Rezept verraten, Michael.«
»Sehr schön«, sagte Michael lächelnd zu Mary Ann. »Er macht eine scheußliche Hollandaise.«
Robert zuckte mit den Schultern. »Michael ist bei uns zu Hause der
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