Stadtgeschichten - 03 - Noch mehr Stadtgeschichten
diesen Machokram schon hinter uns.«
Er äffte sie affektiert nach. »Ich hab geglaubt, wir hätten diesen Machokram schon hinter uns.« Es war so kleinkariert und grausam, daß es ihm sofort leid tat. Als er in ihrem Gesicht nach Anzeichen von Verletztheit suchte, mußte er entnervt feststellen, daß sie ihm bereits vergeben hatte.
»Was ist mit John?« fragte sie.
»Welchem John?«
»Lennon. Ich hab gedacht, du bewunderst ihn dafür, daß er Hausmann geworden ist, als Yoko …«
Brian schnaubte verächtlich. »Es war doch sein Geld, verdammt noch mal! Wenn man der reichste Mann von New York ist, kann man alles machen!«
Mary Ann starrte ihn ungläubig an. Nun war sie wirklich gekränkt. »Wie kannst du nur?« fragte sie leise.
»Wie kannst du etwas in den Dreck ziehen, was wir gemeinsam durchlebt haben?«
Sie sprach von der Mahnwache auf dem Marina Green. Sie und Brian hatten dort sechs Stunden mit dem Betrauern von Lennons Tod zugebracht. Sie hatten sich leergeweint, hatten Kerzen mit Erdbeerduft in der Hand gehalten, »Hey Jude« gesungen und eine neue hawaiianische Marihuanasorte geraucht, die Mrs. Madrigal nach dem Verstorbenen benannt hatte.
Brian hatte sich nie davor – und nie danach – in Mary Anns Gegenwart so verwundbar gezeigt.
Hinterher hatte er eine Notiz an ihre Tür geheftet: HELP ME, IF YOU CAN, I’M FEELING DOWN, AND I DO APPRECIATE YOUR BEING ’ROUND. ICH LIEBE DICH – BRIAN.
Er fühlte sich mies, na schön, aber das hatte mehr mit einer Midlife-crisis zu tun als mit dem Tod eines Beatle.
Denn am Tag von John Lennons Tod waren alle aus Brian Hawkins’ Generation auf einen Schlag und unwiderruflich vierzig geworden.
»Tut mir leid«, sagte er schließlich.
»Macht nichts«, sagte sie, beugte sich vor und küßte ihn auf die Schulter.
»Ich bin nur … grade gereizt.«
»Ich kann heute nacht bei mir schlafen, wenn du …«
»Nein. Bleib. Bitte.«
Als Antwort gab sie ihm einen neuerlichen Kuß auf die Schulter. »Tu mir einen Gefallen«, sagte sie.
»Welchen?«
»Werd nicht meinetwegen Rechtsanwalt. Ich bin schon ein großes Mädchen. Drachen braucht man mir zuliebe keine mehr zu töten.«
Er blickte in ihr strahlendes Gesicht. Manchmal verstand sie ihn besser als sonst jemand. »Gut«, murmelte er. »›With a little help from my friends‹ schaff ich das schon.«
Und manchmal brachte sie ihn dazu, die sentimentalsten Dinge zu sagen.
Cowboys
Ander Valencia Street am anderen Ende der Stadt teilten sich Michael und Ned im Devil’s Herd, der beliebtesten schwulen Country & Western-Kneipe der Stadt, eine Flasche Mineralwasser. Calistoga.
Was Michael an dem Saloon am meisten mochte, war seine Glaubwürdigkeit: die gemütliche Band mit dem gedehnten Klang (Western Electric), die von der Decke baumelnden Pferdegeschirre, die hemdsärmeligen Annie-get-your-gun-Lesben, die vom Tresen aus »Yahoo« schrien.
Wenn er die Augen ein bißchen zusammenkniff, konnten die Squaredance tanzenden Kerle auch als angegraute Cowboys durchgehen, als aufgegeilte Goldgräber, die bis zum Eintreffen der nächsten Ladung Saloongirls aus dem Osten einfach einen draufmachten.
Zugegeben, die muskelstrotzenden Cowboys auf den Wandbildern schlugen in der Gesamtkomposition einen leicht verstädterten Ton an, doch das war Michael egal. Er war überzeugt, daß man den homoerotischen Höhlenmalereien in den Schwulenkneipen von San Francisco eines Tages die gleiche Verehrung erweisen würde, wie sie im Moment verstärkt die Wandbilder aus den New-Deal-Zeiten und die Eingangshallen von Mietshäusern aus dem Art déco erfuhren.
»Mensch, sieh mal!« würde ein eingebildeter, aber gut gebauter Arbeiter rufen und ein Stück verrottete Wandverkleidung abziehen. »Ich glaub, da ist ein Bild dahinter! O Gott, es ist aus der Tom-of-Finland-Schule!«
Die Band spielte »Stand By Your Man«. Als sie die Melodie erkannten, mußten Michael und Ned gleichzeitig lächeln. »Jon hat total drauf gestanden …«, sagte Michael. »Aber nur als Lied. Nicht als Lebensstil.«
Ned trank einen Schluck aus der Flasche. »Ich hab gedacht, du hast ihn verlassen.«
»Na ja, formal gesehen vielleicht. In Wirklichkeit haben wir uns gegenseitig verlassen. Es war für beide eine große Erleichterung. Wir hatten wirklich immenses Glück. Es ist manchmal gar nicht einfach, aus einer S/M-Beziehung wieder rauszukommen.«
»Moment mal. Seit wann wart ihr beide …?«
»S/M«, wiederholte Michael. »Streisand und Midler. Er ist
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