Stahlstiche
wie das ganz ungeschmückt behutsame Nachdenken über geistige Partner, ob sie nun Kleist oder wie dessen Nachfahr Thomas Brasch heißen; ihm hat sie eine ihrer schönsten, innigsten Liebeserklärungen gewidmet. Sie bannt die eigene Verzagtheit, wie der da vor ihr sitzt, und er wird weggehen, und das erste Mal vermag sie nicht mehr zu sagen: «Bleib!»
Wobei dann doch daran erinnert werden darf, was Christa Wolf in einem Gespräch über ihren Text «Sommerstück» von 1989 schreibt, er trägt keine Genre-Bezeichnung: «Die Frage war, ob man in der DDR bleiben kann. Ich war lange unentschlossen. Wir haben lange die Möglichkeit wegzugehen erwogen. Ehrlich gesagt, wir wußten nicht, wohin. Wir sahen in keinem anderen Land eine Alternative.»
Das hat Ursachen. Und da jeder Schriftsteller auch gerne durch die Maske anderer spricht – nicht als Stimmenimitator, aber als einer, der den Fühlweisen von Vorbildern nachspürt, sie in die seinen ummünzt –, gebe ich meinen Zuhörern als Angebot zu ebendieser Ursachenforschung ein paar Sätze aus der Rede von Anna Seghers, die sie 1935 in Paris vor dem Kongreß zur Verteidigung der Kultur zum Thema «Vaterlandsliebe» hielt; übrigens ein Zitat im Zitat, denn es findet sich bei Christa Wolf:
Fragt erst bei dem gewichtigen Wort Vaterlandsliebe, WAS an eurem Land geliebt wird. Trösten die heiligen Güter der Nation die Besitzlosen? Tröstet die «heilige Heimaterde» die Besitzlosen? WAS erinnert an das Scheitern so vieler bedeutender Schriftsteller an den unentwickelten Verhältnissen? In diese Reihe gehören die Besten: Hölderlin, gestorben im Wahnsinn; Georg Büchner, gestorben durch Gehirnkrankheit im Exil; Karoline Günderrode, gestorben durch Selbstmord; Kleist durch Selbstmord; Lenz und Bürger durch Wahnsinn. Das war in Frankreich die Zeit Stendhals und Balzacs. Diese deutschen Dichter schrieben Hymnen auf ihr Land, an dessen gesellschaftlicher Mauer sie sich die Stirn wund rieben. Sie liebten gleichwohl ihr Land.
Viele der Anwesenden werden im Gedächtnis haben, daß diese Formulierungen fast wörtlich denen von Kurt Tucholsky ähnlich sind, mit denen er sein Buch «Deutschland, Deutschland über alles» beschloß; der Aufsatz war überschrieben «Heimat». Da steht gegen Ende:
Ja, wir lieben dieses Land.
Und nun will ich euch mal etwas sagen:
Es ist ja nicht wahr, daß jene, die sich «national» nennen und nichts sind als bürgerlich-militaristisch, dieses Land und seine Sprache für sich gepachtet haben. Weder der Regierungsvertreter im Gehrock noch der Oberstudienrat, noch die Herren und Damen des Stahlhelms allein sind Deutschland. Wir sind auch noch da.
Sie reißen den Mund auf und rufen: «Im Namen Deutschlands …!» Sie rufen: «Wir lieben dieses Land, nur wir lieben es.» Es ist nicht wahr.
Im Patriotismus lassen wir uns von jedem übertreffen – wir fühlen international. In der Heimatliebe von niemand – nicht einmal von jenen, auf deren Namen das Land grundbuchlich eingetragen ist. Unser ist es. (…) Wir pfeifen auf die Fahnen – aber wir lieben dieses Land.
Nicht im Gedächtnis, aber im Gedenken sollten wir alle haben, daß wenig später nicht nur Stirnen sich wund rieben, sondern Schädel eingeschlagen wurden. Wenn ein Schriftsteller die Flamme dieses Gedankens wach gehalten, sie immer aufs neue entfacht hat: dann Christa Wolf. Da sie aber kein Sprechsteller ist, sondern eben Schriftsteller, Künstlerin, vermochte sie, diese haarfeine Sonde in uns zu senken, mit der sie nach Schuld fahndet, Schuld ahndet: in uns, in sich selber. Dem verdankt sie die Schönheit ihrer Sprache, die Bedeutung ihres Werks, eben diesen Sound, der Stil ist.
Immer ist Christa Wolf Teil dessen, wovon sie erzählt. Erschütternd geradezu in ihrer Dringlichkeit im «Sommerstück». Der schmale Band hat eine so meisterhaft eingehaltene Balance zwischen Außen und Innen, wie es ansonsten nur Lyrik leistet. Die Sätze so klar, durchsichtig und dennoch immer in der Schwebe belassen: schön und voll der unbestimmten Ahnung von Grausen, Ende, Tod.
Von der ersten Seite an, unmerklich fast zu Beginn, sirrt ein Ton von Unheimlichkeit, sogar: Unwirklichkeit, in den Zeilen – als seien sie die Notenlinien einer Warnmusik: «Merkst du nicht, wie alles zum Zerreißen angespannt ist.» So deutlich meist ist das nicht – vielmehr stilistisch unendlich behutsam. Man liest sich über unsicheren Boden fort, spürt eine Vibration – nichts Quatschend-Weiches wie über
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