Stahlstiche
einem Moor, sondern etwas kühl Singendes wie auf zu dünnem Glas. Christa Wolf hat Eis aus gefrorener Luft gegossen und damit vermocht, die Lektüre zu einer ganz tiefen Verunsicherung werden zu lassen.
Der Text entstand als eine Art «Verschlingung» von – mit? – «Kein Ort. Nirgends». Der Titel jener Kleist-Erzählung von 1979 war ja eine Abkürzung. Vollständig hieß das schon im Text «Unlebbares Leben. Kein Ort, nirgends». Was das Buch so bis zum Entsetzen eindringlich macht, ist, daß es auf jede Predigt, auf jeden Appell verzichtet; es ist ein Monolog: «Comment c’est». Das tanzt auf einen Abgrund zu, heitere Schritte ins Nichts, in Alter und Tod. «Altern ist Rückzug.» Christa Wolfs Menschen leben als ob.
Es bedarf ganz großer Kunst, so etwas ohne Bitterkeit und ohne Larmoyanz schreiben zu können, uns nur das dünne Blatt mit seinen feinen Äderchen zu zeigen und uns dennoch verstehen zu machen: Es ist losgerissen von einem Baum. Der mag andere Blätter treiben, tragen und abwerfen – sie kennen einander nicht. Sie – wir – haben keine Bedeutung: «Altern ist, übrigens, auch, daß du dich immer öfter zu dir sagen hörst: Es ist nicht wichtig.»
Unredlich wäre es, verschwiege ich einen tiefen Dissens mit Christa Wolf, ausgelöst durch die Aufdeckung ihrer – wenn auch kurzen – Zusammenarbeit mit der Stasi. Als das 1993 allenthalten zu lesen stand, habe auch ich mich in diese Debatte eingemischt – es war fast mehr als ein Artikel, eher eine Art offener Brief; zumindest ein Appell:
Es geht um das tiefste Wesen von Literatur. Das ist ja nicht wahr, daß Kunst nichts zu tun habe mit Gesittung. Derlei Proklamationen sind nett, weil frech und geeignet für schicke Interviews. Ernst sind sie nicht. Im Inneren eines jeden Kunstwerks, auch des wüstesten Mörder- und Schmutzstücks – von Shakespeare bis Genet –, ist ein Stück Unschuld, ein Gran Reinheit geborgen. Das Kunstwerk, das dieses zittrige Splitterchen Wahrheit nicht enthält – ist keines; eine hübsche Laubsäge-Arbeit, mag sein, ein Illuminationswunderchen, vielleicht; ohne Humanum keine Kunst. Die Rede ist nicht von Anstandsregeln. Auch die fickende Nonne kann ein großes Gedicht schreiben. Und die vielen Mimikry der Weltliteratur – Drogen, Süchte, Laster, Verbrechen gar – waren immer nur die Mäander des Minotauros: auf der Suche nach eben diesem unversehrten Kern. Die Lüge zerfrißt das Herz. Wenn aber Thomas Manns Satz gilt, «Schreiben, das heißt sein Herz waschen», dann kann man mit dem Herzkrebs der Unaufrichtigkeit nicht schreiben. Mogeln darf man im Abituraufsatz, nicht in der Literatur.
Proust mit den Dreyfus-Fälschern bei Austern im Ritz oder Sartre mit den Menjou-Élégants der Sûreté beim Pernod im Deux Magots: ist das denkbar?
Wie ging denn das, geschätzte Christa Wolf: Nachdem Georg Lukács verschleppt, Nagy ermordet und Walter Janka eingekerkert wurden, schreiben Sie – nun neckisch «Faszikel» getaufte – Zettelchen an die Firma, signieren mit «Margarete» und wollen den Namen vergessen haben, als könne, wer je Celans «Todesfuge» gelesen, den Namen Margarete vergessen? Warum, um alles in der Welt, taten Sie das? Man setzt sich doch nicht mit Geheimdienst-Satrapen an einen Tisch? Man macht doch keine Kumpanei mit Lumpen? Die machten ihren miesen Job – aber mußten Sie denn mitspielen? Und dürfen Sie sich wundern, wenn auch Gutmeinende sich – Sie – das entgeistert fragen?
Denn zweierlei stimmt nicht: Man «mußte» nicht; und die Stasi war kein «Material». Wie man sich zur selben Zeit (zu der verhaftet, gefoltert, geschlagen, auf Jahre eingesperrt wurde) mit diesen Verbrechern geruhsam unterhalten konnte: Es muß erlaubt sein, um Auflösung dieses Rätsels zu bitten. Das ist wahrlich kein Pappritz-Gesetz «Das tut man nicht». Es ist dies auch nicht die Jieper-Frage eines fährtenwitternden Journalisten – es ist eine Frage Ihres Selbstrespekts. Übrigens auch der Verantwortung Ihrer Arbeit gegenüber, die Sie mit solcher Treulosigkeit versehrt haben.
Mal abgesehen davon, daß Christa Wolf auch
Opfer
ihrer Herren Besucher wurde – mit Schächern redet man nicht. Bei Gefahr, sich gemein zu machen. Das Wort hat einen schaurig-schönen Doppelsinn.
Scham ist ein heikel Ding. Sie ist nicht zu verordnen. Obwohl man schon gerne wissen möchte, wie man sich fühlt, wenn einem jetzt «na, auch ertappt»-zwinkernd der kleine Zuträger Hermann Kant auf die
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