Stahlstiche
Schulter klopft. Vielleicht läßt sich das noch wie Zigarrenasche vom Revers blasen. Nicht so leicht die Verwunderung: Ihr habt euch doch zu Aufbau-Helfern eines Verfolgungssystems gemacht – dem die eigenen Kollegen, ob Fuchs oder Loest, zum Opfer fielen; einem Walter Kempowski haben eure Wirte acht Jahre seines Lebens gestohlen. Das berät man bei Kaffee und Kuchen? Dieses ganze gigantische Gangstersyndikat der Mielke & Co. konnte ja nur funktionieren, weil allzu viele den weiland tapferen Satz der Brigitte Bardot «Moi, je ne marche pas» nicht sagten. Dieser Brutalo-Apparat, der schnüffelte und fotografierte, horchte, abhorchte, einsperrte, folterte; der Zigtausende ins psychische Elend stieß und Tausende ins physische, der lief reibungslos nur, wenn man sich ihm nicht sperrte. Einem Leutnant Paroch weist man die Tür – oder er kommt als Oberleutnant wieder. Auch das ist Dialektik: Auf schreckliche Weise hat Christa Wolf ihre eigenen Überwacher und Denunzianten gezeugt.
Diese meine Intervention habe sie, so sagte mir Christa Wolf später, am meisten von allen Angriffen verletzt. Um so nobler ihr 2003 erschienener, bewundernswert freimütiger Tagebuch-Band «Ein Tag im Jahr», in dem sie von sich selber Rechenschaft fordert, frappierend frühe Zweifel und Skrupel gegen die eigene Existenz eingesteht und jene Stasi-Affäre selber ihre «biographische Katastrophe» nennt. So darf man ein Fazit ziehen, das Respekt heißt.
Ich gebe Christa Wolf den Satz zurück, den sie einmal zu Friederike Mayröckers Werk prägte: «Ich glaube, ich habe es ordentlich gemacht» – darf bescheinigt werden.
Rede, anläßlich der Verleihung der Ehrenplakette der Freien Akademie der Künste in Hamburg an Christa Wolf am 25 . November 2002 .
Der Tod einer Instanz
Abschied von Heinrich Böll
Er war, was zu sein er haßte: das Gewissen der Nation; einen «mörderischen Terminus» nannte er das. Zugleich sagte er von sich: «Ich bilde mir ein, noch nicht ‹erkannt› worden zu sein; immer unter-, gelegentlich auch überschätzt.»
Wie paßt das zusammen? Oder, andersherum gefragt: Liegt in diesem Widerspruch vielleicht das Geheimnis des Heinrich Böll? Denn ein Geheimnis hatte er, es war der Nährquell seiner Autorität. In diesem Moment des Schocks, da der Siebenundsechzigjährige viel zu früh starb, darf das wohl gesagt werden: Sein Geheimnis war die Liebe.
Heinrich Böll liebte die Menschen. Ob in seinen unvergleichlichen Prosa-Miniaturen wie «Nicht nur zur Weihnachtszeit», ob in den Figuren der großen Romane – Adam und Leni, Schnier der Clown und Hedwig aus dem «Brot der frühen Jahre» – oder ob in dem skandalösesten seiner Pamphlete Ulrike Meinhof: Unter allem, was Böll je schrieb, lag eine Gebärde der Zärtlichkeit. Sogar in seinem Haß; denn wie jeder gute Christ wußte Böll auch zu hassen, noch im milder gewordenen Alter – von einem, der gequakt und geplanscht, der Meinungsmulm aufgewirbelt und Mediengrütze verspritzt habe, geht gleich im ersten Absatz seiner Anti-Boenisch-Streitschrift die Rede. Noch dieser «Haß» galt ja dem fehlgegangenen Menschen; auch dem noch galt nie Hochmut oder Häme, eher Mitleid. Es ist jene Haltung, die wir bei dem anderen großen Materialisten der deutschen Literatur mit der bittenden Geste kennen. Bei Bertolt Brecht.
Das klingt wie ein abenteuerlich herbeigezerrter Vergleich – und war doch von Böll tiefernst akzeptiert. In einem seiner letzten großen Briefe an mich schrieb er:
Ich gestehe, daß ich das meiste, was über mich zu hören, zu sehen, zu lesen war, nicht wahrgenommen habe – aus einem einfachen Grund: Ich will mich nicht so intensiv mit mir selbst beschäftigen, will nicht so ganz in die Krankheit verfallen, an der unsere Zeit wirklich krankt – die Egomanie. So viel Ruhm und Ruch dazu – da kann man leicht überschnappen … Sie haben schon recht mit dem «Materialisten» – nur muß man dann definieren, was man unter Materie versteht: Sprache ist Material, auch der, den man Gott nennt, ist materiell geworden, nämlich Mensch. Gewiß gibt es mehr Ähnlichkeiten mit Brecht, als manche Brechtomanen ahnen oder erkennen können, nur bin ich kein Bourgeois, auch nicht bürgerlicher Herkunft – sondern eben dieses Gemisch aus Proletariat, Bohème und verstörtem Kleinbürgertum. Material ist auch die Hostie, ist der Wein, was zwischen Liebenden ausgetauscht wird, ist Material …
Ich bin müde, mein Lieber, krank, matt, erledige nur
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