Stahlstiche
Stasi verstanden wird. So war es nicht.
Wie
es war – das können wir bei Christa Wolf lernen.
«Reden ist auch Kampf um Deutungsherrschaft», schreibt sie an anderer Stelle. Nein, ich möchte diese «Deutungsherrschaft» nicht, möchte sie weder mir anmaßen noch Ihnen zumuten. Ihr schon gar nicht. Vor allem möchte ich aus einer Dichterin nicht eine Politikseminaristin machen. Um der Literatur von Christa Wolf gerecht zu werden, erlaube ich mir ein paar kleine Blinzellichter.
Eine eigene Studie wäre es wert zu untersuchen, wann, wo und wie Christa Wolf den Begriff «Angst» einsetzt, etwa in dem Text «Was bleibt»; es gleicht der Architektur einer Fuge, wie sie in diesem so kurzen wie intensiven Text Angst anschwellen, abschwellen läßt. Genau das sind die Mittel einer Schriftstellerin: die Vergiftung von Seelen, die Verkrustung einer Gesellschaft vorzuführen. Es hat die Intensität von Lyrik: Die letzte Strophe eines Gedichts, hat Brecht einmal gesagt, entsteht im Kopf des Lesers. Christa Wolf erreicht unseren Kopf, weil sie denken kann; sie erreicht unser Herz, weil sie uns den Herzschlag der Menschen mithorchen läßt. Sie ist eine literarische Internistin. Da ich «Blinzellicht» sagte, nur –
pars pro toto
– einen Satz von ihr, eine Erinnerung, wie sie nach dem Donner des 11 . ZK -Plenums mit Anna Seghers ins Ostasiatische Museum floh: «In einem Jahr ist alles vorbei», hatte die Seghers zu ihr gesagt; «da habe ich gesagt: Nein, keinesfalls. Wir wetteten um einen Kaffee. Wir haben nie wieder darüber gesprochen.» Das schneidet wie eine Scherbe. Christa Wolf hat sie nicht gekittet.
Ich bin bei dem zweiten Nicht-Horn der Kassandra. Einen «Christa-Wolf-Sound» hat man ihr vorgehalten; ein vollkommen kunstfremder Befund. Getrost darf man sagen – und sollte
sie
sagen –: Ja, das ist, was man gemeinhin Stil nennt. Das ist, was von Caravaggio bis Matisse, von Gottfried von Straßburg bis Gottfried Benn, von Bach bis Billie Holiday, einen Künstler erkennbar wie kenntlich macht: der eigene Ton. Durchaus ist der Christa Wolf eigen. Und ich bewundere ihn. Er setzt sich zusammen aus Erinnern, Gemahnen und Trauer. Typisch für diesen Stil ist eine Echo-Technik, etwas Chorisches; Christa Wolf sieht sich in und mit ihrer Literatur als Teil einer Tradition.
Ganz bewußt nutzt sie literarische Klassiker, ob sie nun in eine Prosa-Sequenz die berühmte Gedichtzeile «doch jene Wolke blühte nur Minuten, und als ich aufsah, schwand sie schon im Wind» einmontiert; ob sie Zeilen von Wolf Biermann, Sarah Kirsch oder Stephan Hermlin aufnimmt wie einen Wort-Dank; oder ob sie jenen wunderbaren schmerzenden Satz von Heinrich Böll aufruft, der noch und gerade heute auf Litfaßsäulenplakaten stehen sollte: «Prometheus – das bedeutet: der Vorausdenkende – hat ja nicht das Feuer vom Himmel geholt, nur damit die Wurstbratereien ihr Geschäft machen können.»
Um deutlich zu machen, wie sehr recht Christa Wolf hat, wenn sie ihren Ton der Klage in Zorn umkippen läßt, gestatten Sie mir einen Einschub. Wenn sie die geradezu widerwärtige Entsorgung unserer Geschichte durch Umbenennung der Straßenschilder, die an ermordete Kommunisten erinnerten, illustriert mit dem Satz «aber einige deutsche Kampfflieger bleiben den Berlinern auf ihren Straßenschildern erhalten» –, dann möchte ich das, gleichsam um Christa Wolfs Einrede zu erden, mit einer kurzen Geschichte ergänzen:
In Paris lebt der mit mir befreundete Maler Rainer Küchenmeister, letzter Zeuge, Familienmitglied und damit Überlebender der kommunistischen Widerstandsgruppe «Rote Kapelle»; er erlebte die Verhaftung seines Vaters, dem mit dem Beil der Kopf abgeschlagen wurde; er kam in ein Kinder- KZ ; er wurde nach dem Krieg – da benannte man in der DDR eine Straße nach dem ermordeten Kommunisten – Mitglied der Berliner Akademie der Künste; er erfuhr von der Umbenennung dieser Straße, für Rainer Küchenmeister – wie er mir schrieb – «die zweite Ermordung meines Vaters»; er trat protestierend gegen diese Ruchlosigkeit aus der Akademie aus. Die hehre Anstalt nahm widerspruchslos den Austritt an.
Bitte etwas mehr Christa-Wolf-Sound.
Der rüttelt nicht nur uns. Er hat, nachweisbar, die Schriftstellerin selber durch- und durchgerüttelt oder war, etwas genauer gesagt, Membran ihrer eigenen Erschütterungen. Das zeigen ihre Gespräche – so nenne ich die Briefwechsel etwa mit Brigitte Reimann oder Franz Fühmann – so gut
Weitere Kostenlose Bücher