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Stalingrad - Die Einsamkeit vor dem Sterben

Stalingrad - Die Einsamkeit vor dem Sterben

Titel: Stalingrad - Die Einsamkeit vor dem Sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Fromm
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fast, er röchelte und sah plötzlich flimmernd die Einstiegsluke vor sich, wurde zurück- und wieder nach vorn geworfen und bekam einen eisglatten Griff zu packen.
    »Fritz …!« Die Hände um seinen Hals lockerten sich.
    Nicht jetzt, dachte er, fasste nach hinten, erwischte die schlaffe Hand des Kleinen, blickte in die Richtung, wohin dessen Arm zeigte, und sah Hans, der, verfolgt von zwei Feldgendarmen, aus einem Zelt gestürzt war und auf die Maschine zuhetzte. Noch ehe Fritz die Bedeutung des Bildes begreifen konnte, wurde seine Hand von dem rettenden Türgriff geschlagen, eine Faust hieb in seinen Nacken, und sein Körper wurde nach unten gestoßen. Ein genagelter Stiefel bohrte sich in seinen Rücken, dann noch einer, eine Armee von Stiefeln.
    Er sah nicht mehr, wie Hans verzweifelt versuchte, die Masse der Verwundeten zu erreichen, di e sich um das Flugzeug zusammengeballt hatte.
     
    Hans schmeckte Blut im Mund. Es kam aus seinen erfrorenen Lungenspitzen. Er spuckte es im Laufen aus, stieß mit dem Schienbein gegen etwas Hartes und verlor den Boden unter den Füßen. Der dumpfe Aufprall raubte ihm die letzte Kraft.
    Benommen drehte er den Kopf nach oben. Das Gesicht, das er sah, war inzwischen ebenso verdreckt wie das aller anderen, die Haare ebenso verfilzt, dennoch erkannte er es sofort. Es gehörte Oberleutnant Haller.
    Auch Haller hatte ihn erkannt. Er entblößte kurz seine Zähne, nahm die beschlagene Brille ab, pu tzte sie sorgfältig mit dem weißen Armband, das ihn als Ordnungsmacht kennzeichnete, und beobachtete gleichmütig, wie sich seine zwei Kollegen auf Hans stürzten und ihn mit ihren Stiefeln zusammentraten.
    Nachdem sie sich ausgetobt hatten, zerrte einer von Hallers Untergebenen Hans am Kragen hoch und zog seine Pistole. Haller setzte die Brille wieder auf.
    »Offiziere kommen vors Standgericht«, sagte er und ließ das, was von Hans noch übrig war, abführen. Wilde Exekutionen waren ihm nicht zuletzt dank persönlicher schlechter Erfahrungen zuwider. Jeder Mann, den er ohne Urteil erschießen lassen musste, lastete schwer auf seinem ordnungsliebenden Gemüt, und es erfüllte ihn immer noch mit beachtlichem Stolz, dass er hier, abgesehen von ein paar nicht ganz lupenreinen Requirierungen, seiner Pflicht so gründlich nachgekommen war.
     
    Fritz kam wieder zu sich, als ihn ein weiterer Stiefel traf. Halb betäubt kroch er unter den Rumpf der Maschine. Bubi zog er hinter sich her. Hier waren sie vor den Stiefeln sicher und trotzdem endgültig verloren. Ganze Menschentrauben hingen an den Flügeln und Leitwerken, Stiefel und Hände kratzten verzweifelt über das Wellblech. Es war ein völlig sinnloses Unterfangen, die Maschine hatte Platz für nicht mehr als zwei, vielleicht drei Dutzend Männer.
    Ein leichtes Zittern ging durch ihren Rumpf, die drei Motoren heulten auf, die Propeller wirbelten Schneewolken nach hinten.
    Fritz schlug in besinnungsloser Wut und Verzweiflung auf den Boden, die dreckigen Binden flogen von seinen Händen. »Wir waren fast drin!«, schrie er. »Du verdammter Idiot!«
    Er merkte nicht, wie Bubi ihn mit dem letzten Funken Kraft von den wegrollenden Rädern der Maschine wegzerrte.
    Die russische Artillerie tastete sich näher heran. Die ersten Granaten schlugen auf das Rollfeld ein. Bubi verfolgte mit starrem Blick, wie die Maschine zwei frische und noch rauchende Trichter umkurvte und holpernd beschleunigte. Wie welkes Laub wurden Soldaten, die sich bisher festgeklammert hatten, von den Tragflächen geweht. Ein Kopf krachte gegen das Leitwerk. Zweimal sackte die Maschine auf den Boden zurück, ehe sie schwerfällig abhob.
    Ihre Flugbahn kreuzte exakt die eines Raketengeschosses. Ein Feuerball flammte unterhalb der Wolken auf, gefolgt von einem berstenden Knall.
    Fritz hob den Kopf und starrte mit offenem Mund auf die Explosion. Brennende Trümmer regneten auf das Gelände zurück. In ihrem Feuerschein hob Fritz die Arme zum Himmel und begann zu lachen. Er drehte sich um und umarmte den Kleinen.
    »Du hast uns gerettet!« Er verschluckte sich, hustete. »We nigstens … wenigstens für ein paar beschissene Stunden.«
    Bubi schaute an ihm vorbei zu den Zelten. Eines hatte durch die herabstürzenden Trümmer Feuer gefangen, und die im Wind schlagende Zeltbahn leuchtete wie eine gewaltige Fackel über den Platz.
    »Da hinten ist Hans. Sie ha ben ihn noch nicht erschossen.«
    Fritz folgte seinem Blick und sah, wie Hans von Haller, Slesina und zwei weiteren

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