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Stalingrad - Die Einsamkeit vor dem Sterben

Stalingrad - Die Einsamkeit vor dem Sterben

Titel: Stalingrad - Die Einsamkeit vor dem Sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Fromm
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Räder des Lkws holperten über zwei, drei steif gefrorene Körper.
    Urplötzlich war es mit der Stille vorbei. Eine Serie schwerer Granaten heulte heran, riss flache Trichter vor ihnen in die Straße, schmetterte in die Ruinen, tauchte die Umgebung in beißenden Rauch. An Weiterfahrt war nicht zu denken.
    Fritz steuerte den Lkw in einen Hof, der Pfarrer sprang ins Freie.
    »Ich muss zur Fliegerschule!«, sch rie er. »Mein Flugzeug …«
    Rollo packte ihn am Kragen und zerrte ihn in Deckung. »Du Himmelswichser gehst nirgends hin, bevor wir nicht abmarschieren!«
    Ziellos flüchtende deutsche Soldaten schleppten sich an ihnen vorbei. Sie waren zum größten Teil verwundet. Dazwischen immer wieder Granateinschläge.
    Sie suchten Deckung in einem verwehten Laufgraben. Ebenso plötzlich, wie sie ihr höllisches Werk begonnen hatte, schwieg die feindliche Artillerie. Bis auf das Stöhnen der Verletzten war alles wieder still. Eine schwere Granate war in der Nähe des Lasters detoniert, und der Luftdruck hatte ihn auf die Seite gekippt.
    Hans sprang als Erster aus de m Graben. »Los, stellt den Lastwagen wieder auf! Macht schnell!«
    Rollo schleppte den Pfarrer zu den Hinterrädern. Hans richtete seine MPi auf sieben zerlumpte Gestalten, die hustend und blind aus einem der staubgefüllten Kellerlöcher krochen. »Ihr da, herkommen! Herkommen – oder es knallt!«
    Mit vorgehaltenen Waffen trie ben er und Fritz weitere Flüchtlinge zu dem Lastwagen. Einer versuchte wegzulaufen. Fritz packte ihn und schlug ihm ins Gesicht. »Bleib hier, du Arsch! Oder ich mach dich kalt!«
    Gemeinsam versuchten sie, den Lkw wieder aufzurichten. Er bewegte sich kaum. Alles umsonst! Das durfte nicht sein. Jetzt nicht mehr!
    Sie versuchten es erneut. Die Adern und Sehnen traten wie Kabel unter ihrer Haut hervor, sie keuchten, fluchten vor Wut und Erschöpfung. Auf einmal gab das Gewicht nach, der Lastwagen kippte auf seine Räder zurück.
    Keuchend warfen sie die herausgefallenen Kisten wieder auf die Ladefläche, ließen eine für die unfreiwilligen Helfer liegen. Dann hörten sie, was sie schon die gan ze Zeit erwartet hatten: Panzermotoren. Nach dem vorbereitenden Artilleriefeuer griffen die Russen an.
    »Wiedersehen, Herr Pfarrer!«, rief Hans, bevor er einstieg. »Sie können gehen. Grüßen Sie Ihren grausamen Gott, wenn Sie ihn sehen.«
    Der Pfarrer sah ihn ungläubig an. Dann drückte er ihm fest die Hand.
    Hans nahm ihm die Uhr ab. Der Pfarrer bemerkte es ni cht einmal. Mit starren Augen, in die sich ein gnädiger Irrsinn geschlichen hatte, machte er sich durch die Ruinen und gebückt auf den Weg zur Fliegerschule und den Fieseler Störchen, die es längst nicht mehr gab.
    Die anderen fuhren in der Deckung der Ruinen davon. Das Brummen der Panzermotoren hinter ihnen wurde lauter.

 
     
     
     
     
     
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    E s war nicht mehr weit. Sie fuhren den Lkw in eine zerschossene Halle, von der aus sie den Bau beobachten konnten, wo sie auf Petroffs Leute gestoßen waren. Beständig hörten sie Gefechtslärm, teilweise bedrohlich nah. Auf der Straße draußen fuhren einige Kübelwagen vorbei, die bis auf die Reifen unter grauen Menschentrauben verschwanden. Kurz darauf tauchten fünf russische Schützenpanzer aus der Richtung des Mamaihügels auf und bogen nach Osten ab. Vor ihre Luken waren Grammophone geschnallt. Aus den Lautsprechern kreischte Musik. Am Heck flatterten sowjetische Fahnen.
    Sie hatten nicht mehr viel Z eit, die Lage war vollkommen unübersichtlich, die Stadt war durch einen russischen Panzerkeil in zwei Teile gespalten. Der Nordwesten befand sich unter heftigem Artilleriefeuer, während der Süden bereits von russischer Infanterie aufgerollt wurde. Dumpfe Explosionen und rostrote Brände zeugten vom Ende der letzten Widerstandsnester in den Kellern.
    Nur wenige Meter von ihrem Laster entfernt sanken flüchtende Soldaten zu Boden und starben vor Hunger, Kälte, Erschöpfung. Und sie standen hier mit ein paa r Kisten Kognak, Kaffee, Konserven, ein paar Ringen, Zahngold und hofften durchzukommen.
    Nicht denken, nur nicht wieder anfangen zu denken! Fressen, atmen, schlafen! Sonst nichts!
    Hans zog die Hände aus den Handschuhen und hauchte auf die tauben Fingerspitzen. Der Uhr des Pfarrers zufolge waren Petroff und seine Leute seit einer Viertelstunde überfällig.
    Plötzlich gab es rechts von ihnen eine heftige Explosion, die den Boden unter ihren Füßen beben ließen. Danach Gewehrfeuer, Schreie.
    Hans kletterte

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