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Stalingrad - Die Einsamkeit vor dem Sterben

Stalingrad - Die Einsamkeit vor dem Sterben

Titel: Stalingrad - Die Einsamkeit vor dem Sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Fromm
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und rutschte immer wieder ab, es war auch nicht zu erkennen, was daraus werden sollte, aber er machte weiter.
    Rollo kam so schnell zurück, dass Fritz sich fragte, wie er es in der kurzen Zeit überhaupt geschaffte hatte, seine Hosen runterzulassen.
    Gross lehnte ab. Funktionierte angeblich nicht mehr bei ihm. Fritz schluckte und starrte auf seine schmutzigen Fingernägel.
    »Muss man sie zwingen?«
    »Quatsch.« Rollo erinnerte sich nur ungern an das, was passiert war. Es war ungefähr so gewesen wie damals mit Bubi. So als wäre gar nichts passiert. Im Grunde hatte er’s nur aus Aberglauben gemacht. Jetzt wusste er wieder, dass er durchkommen würde. »Es ist in Ordnung. Sie liegt da, und du machst es. Außerdem hast du’s mir versprochen.«
    Fritz nickte. Er spürte, wie ihm Tränen in die Augen stiegen, als er an die kleine Russin dachte, die sich damals im Trommelfeuer an ihn geklammert hatte. Vielleicht konnte er noch einmal etwas Ähnliches fühlen, bevor er draufging.
    Er stand auf, ging nach hinten.
    »Frag sie hinterher, ob sie was essen will«, rief ihm Rollo nach.

 
     
     
     
     
     
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    E twas später saß die Russin mit den Männern beim Essen. Sie aß mit den Fingern, Fritz reichte ihr einen Löffel, sie aß damit weiter.
    Hans saß ihr gegenüber, aß ebenfalls, doch er sah sie nicht an. Auch die anderen mieden ihren Blick , der nicht mehr stumpf, gleichgültig, auch nicht hasserfüllt war, sondern merkwürdig ruhig und gefasst. Sie vermittelte ihnen das Gefühl, es wäre ganz selbstverständlich, was passiert war, als habe sie Schlimmeres erwartet und würde es noch erwarten, und das traf die Männer mehr, als es ihr Hass hätte tun können.
    Die Stille wurde vom leisen Stöhnen des Hauptmann s unterbrochen. Rollo brachte ihm etwas zu essen. Er sah, dass die Augen des Hauptmanns geöffnet waren, stellte das Essen ab und wich ängstlich zurück.
    Musk hob mühsam den Kopf, m usterte die Soldaten im Keller.
    »Rohleder«, flüsterte er. »Sie bei den Deserteuren?«
    »Das, das hat sich so ergeben, Herr Hauptmann«, stotterte Rollo. »Da draußen ist ein Riesendurcheinander. Essen Sie was.«
    Musk schob die Konserve b eiseite. Die Wirkung des Morphiums hatte nachgelassen. Eine Schmerzwelle wanderte durch seinen Körper. Er versuchte, sie zu ignorieren. »Hier habt ihr euch also verkrochen, während eure Kameraden dort draußen verbluten und …«
    »Ich hab’s gewusst«, sagte Fritz laut. »Hätt die Sau überfahren sollen, dann wär wenigstens Ruhe beim Essen!«
    »Ihr seid deutsche Soldaten!«, schrie der Hauptmann.
    Er wollte von seinem Lager kri echen, doch bei der ersten Bewegung stöhnte er laut auf. »Rohleder … Otto …« Die Schmerzen waren zu groß, er konnte nicht weitersprechen, sackte erschöpft zurück, sein Kopf pendelte wimmernd hin und her.
    Der Arzt rappelte sich mühsam hoch, als er die Ampullen und die Spritze in Rollos Händen sah. S ein Körper schmerzte bei der geringsten Bewegung, jede Faser lechzte nach Betäubung. Er zitterte so stark, dass er die Kanüle nicht in die Ampulle bekam. Rollo half ihm. Der Arzt drückte die Luft aus dem Kolben, bis die ersten Tropfen aus der Nadel spritzten. Seine Augen glänzten vor Gier.
    Gross riss ihm die Spritze aus der Hand, ging zu Musk, stieß den Pfarrer weg, der seine Gehirnwindungen nach tröstenden Worten absuchte, und sagte den and eren, sie sollten den Arzt beruhigen, der jegliche Beherrschung verloren hatte und sich zusammengekrümmt und wimmernd auf dem Boden wälzte. Dann stach er Musk die Spritze in den Oberarm.
    Er beobachtete, wie sich das verzerrte Gesicht des Hauptmanns entspannte und sich der Schmerz, der in seinen Augen loderte, nach und nach zurückzog.
    Musk erkannte ihn und lächelte. »Warum hilfst du mir?«, flüsterte er. »Warum siehst du nicht zu und erfreust dich an meinem Schmerz?«
    Gross wollte weggehen, aber Musk packte sein Handgelenk, hielt ihn mit überraschender Kraft fest.
    »Was willst du mir erzählen?«, sagte Gross heiser. »Wieder die verdammte Lüge, dass, nur weil ein Staat es befiehlt, aus gemeinem Massenmord Heldentaten werden? Dass man nur im immerwährenden Kampf gegen sein Gewissen stark wird?« Er machte eine Pause und starrte in die eingefallenen Augen seines ehemaligen Freundes. »Hast du dein Gewissen besiegt, Hermann?«
    »Im Leben gewinnt man immer nur ein Gefecht«, flüsterte Musk, »höchstens eine Schlacht. Den Krie g verliert man unausweichlich.«
    »Wir sind

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