Starbuck. Der Verräter (German Edition)
anscheinend mit echter Freundlichkeit. «Ich glaube, Major Faulconer kennen Sie schon? Dann erlauben Sie mir, Ihnen Mr. Caleb Samworth vorzustellen. Das ist Miss Victoria Royall.» Sally lächelte, knickste erneut, dann trat sie zur Seite, um Platz für Starbuck, Mrs. Gordon und Julia zu machen. Nach den übrigen Vorstellungen brachte ein blasses, schüchternes Dienstmädchen ein weiteres Tablett mit Teetassen herein, und Mrs. Gordon machte sich mit der Kanne und dem Sieb zu schaffen. Alle stimmten darin überein, dass dies ein schreckliches Wetter war, vermutlich der schlimmste Richmonder Frühling seit Menschengedenken, und niemand erwähnte die Nordstaatenarmee, die irgendwo östlich der Stadt aufzog.
Reverend John Gordon war ein kleiner, schlanker Mann mit einem auffällig rosafarbenen Gesicht und zarten weißen Haarsträhnen über dem Schädel. Er hatte ein fliehendes Kinn, das ein anderer Mann wohl hinter einem Vollbart versteckt hätte, doch der Missionar war glatt rasiert, was darauf hindeutete, dass seine Frau keine Bärte mochte. Tatsächlich wirkte der Missionar so klein und schutzlos – während Mrs. Gordon so überaus respekteinflößend erschien –, dass Starbuck zu dem Schluss kam, es müsse sie und nicht er sein, die in diesem gewollt beengten Haushalt das Regiment führte. Mrs. Gordon schenkte den Tee aus und erkundigte sich nach der Gesundheit von Miss Royalls Tante. Sally erklärte, ihrer Tante gehe es weder besser noch schlechter, und damit ließ Mrs. Gordon, sehr zu Sallys Erleichterung, den Gesundheitszustand der Tante auf sich beruhen.
Mrs. Gordon erklärte Caleb Samworths Anwesenheit damit, dass er einen Pferdewagen besaß, auf dem sie alle zum Chimborazo Hospital fahren konnten. Samworth lächelte, als sein Name genannt wurde, und starrte dann Sally an wie ein verdurstender Mann, der in unerreichbarer Ferne einen Fluss mit kühlem Wasser sieht. Der Pferdewagen, erklärte er stockend, gehöre seinem Vater. «Haben Sie vielleicht schon von uns gehört? Samworth and Son, Einbalsamierer und Bestatter?»
«Leider nein», sagte Starbuck.
Adam und der schmachtende Samworth luden Sally ein, sich mit ihnen ans Fenster zu setzen. Adam legte einen großen Stapel leerer Tuchsäcke beiseite, die von den Damen des Hauses, wie von beinahe allen Damen Richmonds, aus jedem Fetzen Stoff genäht wurden, den sie entbehren konnten. Die Säcke wurden zu Granny Lees neuer Grabenstellung geschafft und mit Sand gefüllt, doch was solche Wälle gegen die Horde aus dem Norden ausrichten konnten, die von Fort Monroe herandrängte, wusste niemand zu sagen. «Sie sitzen hier, Mr. Starbuck», sagte Reverend John Gordon und zog einen Stuhl neben seinen, dann stürzte er sich in ein Lamento über die Probleme, die der Amerikanischen Gesellschaft zur Verkündigung des Evangeliums unter den Armen durch die Sezession erwuchsen. «Unsere Zentrale, wissen Sie, ist nämlich in Boston.»
«Mr. Starbuck weiß ganz genau, wo die Zentrale der Gesellschaft ist, Gordon», warf Mrs. Gordon von ihrem Thron hinter dem Teetablett ein. «Er ist selbst Bostoner. Sein Vater ist sogar einer der Treuhänder der Gesellschaft, nicht wahr, Mr. Starbuck?»
«Das ist er in der Tat», sagte Starbuck.
«Einer der Treuhänder», fügte Mrs. Gordon spitz hinzu, «die all diese Jahre die Vergütung der Missionare gedrückt haben.»
«Mutter», kam es als zaghafter Tadel von Reverend John Gordon an seiner Frau.
«Nein, Gordon!» Mrs. Gordon würde sich nicht davon abbringen lassen. «Gott hat mir eine Zunge zum Reden gegeben, damit ich reden soll, also rede ich, ja, das werde ich. Eine der Segnungen, die uns die Südstaaten-Sezession geschenkt hat, war unsere Befreiung von den Treuhändern aus dem Norden! Das hat Gott eindeutig so gewollt.»
«Wir haben seit neun Monaten nichts von der Zentrale gehört!», erklärte Reverend John Gordon sorgenvoll. «Glücklicherweise werden die Ausgaben der Mission vor Ort bestritten, Lob sei Gott, aber es ist besorgniserregend, Mr. Starbuck, äußerst besorgniserregend. Es fehlen Abrechnungen, Berichte sind nur zur Hälfte fertiggestellt, und Zusammenkünfte sind ausgefallen. Das verstößt gegen die Regeln!»
«Es ist göttliche Fügung, Gordon», korrigierte Mrs. Gordon ihren Ehemann.
«Beten wir darum, Mutter, beten wir darum.» Reverend John Gordon seufzte schwer und biss von seiner Scheibe trockenem, mehligem Früchtekuchen ab. «Ihr Vater ist also Reverend Elial Starbuck?»
«Ja, Sir,
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