Starbuck. Der Verräter (German Edition)
diese Erkundung durchführen sollte. «Wollen Sie den Wall raufreiten und mit den Fingerknöcheln an eine von diesen Kanonen klopfen, Sergeant?», fragte der Captain den Reiter neben ihm.
Der Sergeant lachte in sich hinein, dann tauchte er in seinem Uniformmantel ab, um sich eine Zigarre anzuzünden.
«Die Kanonen sehen echt aus, Captain!», rief einer der Männer.
«Die bei Manassas haben auch echt ausgesehen», sagte der Captain und schrak auf, als plötzlich eine der Kanonen in der Entfernung abgefeuert wurde. Der Rauch wurde dreißig Schritt weit vor die Schießscharte gespien und verhüllte die Feuerzunge in seinem Zentrum. Das Geschoss, offenkundig eine massive Kanonenkugel oder ein länglicher Eisenbolzen, krachte knapp hinter der Patrouille ins frische Grün der Bäume.
«Bastarde», sagte der Sergeant und rammte seinem Pferd die Sporen in die Flanken. Keiner der Kavalleristen war verletzt worden, aber ihre unvermittelte Hastigkeit löste Jubel bei den Kanonieren der Gegenseite aus.
Eine halbe Meile weiter kam der Captain zu einem kleinen Felskopf, der sich ein paar Fuß über das flache, regendurchtränkte Land erhob. Er führte seine Männer auf das Plateau des Felskopfs, wo sie aus dem Sattel stiegen und wo der Captain einen passenden Baum mit einer Astgabelung entdeckte, in der er sein Fernrohr abstützen konnte. Von diesem Punkt aus hatte er einen Blick über einen Streifen Marschland zwischen zwei der gegnerischen Redouten, auf dem die Hyazinthen in strahlender Blüte standen, und weit hinter die Gefechtslinie der Rebellen, wo er gerade noch eine Straße ausmachen konnte, die durch schattige Kiefernwäldchen führte. Auf dieser Straße marschierten Truppen, oder jedenfalls kämpften sie sich an den morastigen Straßenrändern vorwärts. Er zählte sie, Kompanie um Kompanie, und wurde sich bewusst, dass er ein vollständiges Rebellenbataillon südwärts ziehen sah.
«Hören Sie, Sir.» Der Sergeant hatte sich neben den Captain gestellt. «Hören Sie das auch, Sir?» Der Captain schlug seinen Kragen herunter, lauschte angestrengt und fing das Geräusch ferner Trompeten auf, das vom Wind herangetragen wurde. Das Geräusch war zart und kam von weit her. Eine Trompete wurde geblasen, eine andere beantwortete das Signal, und nachdem der Captain nun seine Aufmerksamkeit auf die elfenhaft zarten Klänge gerichtet hatte, erschien es ihm, als sei die gesamte feuchte Landschaft von ihnen erfüllt. «Das sind ziemlich viele von den Bastarden», sagte der Sergeant und erschauerte, als würde das geisterhafte Geräusch einen mysteriösen Feind ankündigen.
«Wir haben nur dieses eine Bataillon gesehen», sagte der Captain, doch dann tauchte noch eine Kolonne grau uniformierter Soldaten auf der fernen Straße auf. Er beobachtete sie durch sein Fernrohr und zählte weitere acht Kompanien. «Zwei Bataillone», sagte er, und kaum hatte er es ausgesprochen, als das dritte Regiment in Sicht kam.
Die Kavallerie blieb zwei Stunden auf dem Felskopf, und in dieser Zeit sah der Captain acht Rebellenregimenter südwärts marschieren. Ein hoffnungsvolles Gerücht hatte gelautet, dass die Rebellen nur zwanzig Bataillone hatten, um die gesamten Verteidigungsanlagen von Yorktown zu bemannen, doch hier, fünf Meilen südlich der berühmten Stadt, hatte der Captain Regiment um Regiment vorbeiziehen sehen. Der Gegner war offenkundig wesentlich stärker, als die Optimisten gehofft hatten.
Am Nachmittag stiegen die Kavalleristen wieder in den Sattel. Der Captain verließ den Felskopf als Letzter. Als er sich noch einmal umdrehte, sah er das nächste Rebellenregiment in dem Wald auftauchen. Er blieb nicht, um die Soldaten zu zählen, stattdessen trug er seine Neuigkeiten ostwärts über die feuchten, üppigen Kleewiesen und vorbei an Bauernhöfen, deren Bewohner missmutig beobachteten, wie ihr Gegner vorüberkam.
Sämtliche Kavalleriepatrouillen der Nordstaaten kehrten mit derselben Geschichte von massiven Truppenbewegungen hinter den Rebellenlinien zurück, von versteckten Einheiten, die sich über Trompetensignale verständigten, und von echten Kanonen, die in frisch gegrabene Erdschanzen geschafft worden waren. McClellan hörte sich die Berichte an und erschauerte. «Sie hatten recht», erklärte er Pinkerton. «Wir haben es mit wenigstens siebzigtausend Mann zu tun, vielleicht sogar hunderttausend!» Der General hatte das bequeme Kommandoquartier in Fort Monroe übernommen, von wo aus er einen Blick auf die zahlreichen
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