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Stark (Dark Half) - King, S: Stark (Dark Half) - The Dark Half

Titel: Stark (Dark Half) - King, S: Stark (Dark Half) - The Dark Half Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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verlassen, nachdem sie alles eingesackt hatten, was sich zu Geld machen ließ (ganz zu schweigen von den achtzig oder neunzig Dollar in dem Bräter - und war nicht auch der Bräter selbst etwas, das sich zu Geld machen ließ?). Aber es konnte auch sein, daß sie noch da waren. Das war jedenfalls die Annahme, von der man ausging - genau wie den Jungen, die ihr erstes richtiges Gewehr bekommen haben, vor allem anderen beigebracht wird, daß sie immer von der Annahme auszugehen haben, daß das Gewehr geladen ist; selbst wenn man es fabrikneu aus der Verpackung holt, ist das Gewehr geladen. Sie begann, von der Tür zurückzuweichen. Sie tat es fast sofort, noch bevor das kurze Einwärtsschwingen der Tür aufgehört hatte, aber es war zu spät. Eine Hand kam aus der Dunkelheit, schoß durch den fünf Zentimeter breiten Spalt zwischen Tür und Pfosten hindurch wie eine Kugel. Sie umklammerte ihre Hand. Ihre Schlüssel fielen auf den Flurteppich.
    Miriam Cowley öffnete den Mund, um zu schreien. Der große blonde Mann hatte direkt hinter der Tür gestanden, wo er inzwischen mehr als vier Stunden geduldig gewartet hatte, ohne Kaffee zu trinken, ohne Zigaretten zu rauchen. Ihn verlangte nach einer, und er würde sie rauchen, sobald erledigt war, was er vorhatte, aber vorher hätte der Rauch sie warnen können - New Yorker waren wie ganz kleine Tiere, die im Gestrüpp hockten, die Sinne ständig auf Gefahr eingestellt, selbst wenn sie glaubten, daß sie sich vergnügten.
    Er hatte ihr rechtes Handgelenk in seiner rechten Hand, bevor sie überhaupt etwas denken konnte. Jetzt legte er die Fläche seiner linken Hand gegen die Tür, stemmte sie ab und riß die Frau mit seiner ganzen Kraft heran. Die Tür sah aus, als wäre sie aus Holz, aber sie bestand natürlich wie alle guten Wohnungstüren in dem wurmstichigen alten Big Apple aus Metall. Sie flog vorwärts, und die Seite ihres Gesichts prallte gegen die Türkante. Zwei ihrer Zähne brachen dicht über dem Zahnfleisch ab und zerschnitten ihren Mund. Ihre
Lippen, die sich zusammengepreßt hatten, entspannten sich durch den Schock, und über die untere ergoß sich Blut. Tropfen landeten an der Tür. Ihr Wangenknochen brach wie ein Zweig.
    Sie sackte zusammen, halb bewußtlos. Der blonde Mann ließ sie los. Sie brach auf dem Flurteppich zusammen. Jetzt mußte es sehr schnell gehen. Der landläufigen Ansicht zufolge kümmerte sich niemand um etwas, das in dem wurmstichigen alten Big Apple vorging, solange er nicht selbst betroffen war. Der landläufigen Ansicht zufolge konnte ein Psychopath auf der Seventh Avenue vor einem Barbierladen mit zwanzig Stühlen dreißig- oder vierzigmal auf eine Frau einstechen, und niemand würde ein Wort sagen, außer vielleicht Könnten Sie das Haar über den Ohren etwas kürzer schneiden oder Ich glaube, ich verzichte heute auf das Kölnischwasser, Joe. Der blonde Mann wußte, daß diese landläufige Ansicht falsch war. Bei kleinen, gehetzten Tieren gehörte Neugierde zu den Überlebensmechanismen. Die eigene Haut retten, ja, darauf kam es an, aber ein Tier, das nicht neugierig war, riskierte, sehr bald ein totes Tier zu sein. Deshalb mußte es schnell gehen.
    Er öffnete die Tür, packte Miriam bei den Haaren und zerrte sie hinein.
    Eine knappe Stunde später hörte er, wie ein Stück weiter den Flur hinab ein Sicherheitsriegel zurückgeschoben wurde, und dann das Klicken einer sich öffnenden Tür. Er brauchte nicht hinzuschauen, um das Gesicht zu sehen, das aus der anderen Wohnung herauslugte, ein kleines, haarloses Kaninchengesicht mit zuckender Nase.
    »Hast du es zerbrochen, Miriam?« fragte er mit lauter Stimme. Er wechselte in eine höhere Tonlage, nicht ganz ein Falsett, wölbte beide Hände etwa fünf Zentimeter von seinem Mund entfernt, damit sie als Schallwand fungierten, und antwortete selbst: »Ich glaube nicht. Hilfst du mir beim Aufsammeln?« Nahm seine Hände herunter, verfiel wieder in seine normale Stimmlage. »Natürlich. Mach ich gleich.«
    Er schloß die Tür und schaute durch den Spion. Es war eine Fischaugenlinse, die einen verzerrten Weitwinkelblick über den Flur ermöglichte, und in ihr sah er deutlich, was er
zu sehen erwartet hatte: ein weißes Gesicht, das um die Kante einer Tür auf der anderen Flurseite herumlugte, herauslugte wie ein Kaninchen aus seinem Bau.
    Das Gesicht zog sich zurück.
    Die Tür wurde geschlossen.
    Sie wurde nicht zugeschlagen, sie wurde einfach zugezogen. Die dämliche Miriam hatte etwas fallen

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