Stark (Dark Half)
würde?
Darunter schrieb er:
Antwort: Weil die Sperlinge wieder fliegen. Und weil wir Zwillinge sind.
Er schlug in seinem Tagebuch eine neue Seite auf und legte dann den Kugelschreiber beiseite. Mit heftig klopfendem Herzen, mit vor Angst eiskalter Haut streckte er eine zitternde Hand aus und holte einen der Berol-Bleistifte aus dem Topf. Er schien mit einer schwachen, unangenehmen Hitze in seiner Hand zu glühen.
Es war Zeit, ans Werk zu gehen.
Thad Beaumont beugte sich über die leere Seite, hielt einen Moment inne und schrieb dann DIE SPERLINGE
FLIEGEN WIEDER in großen Versalien an den Kopf des Blattes.
Was genau hatte er mit dem Bleistift vor?
Auch das wußte er. Er wollte versuchen, die letzte Frage zu beantworten, eine Frage, die so sehr auf der Hand lag, daß er sich nicht einmal die Mühe gemacht hatte, sie niederzuschreiben: Konnte er den Trancezustand bewußt herbeiführen? Konnte er bewirken, daß die Sperlinge flogen?
Es gab eine Form psychischen Kontakts, von der er zwar gelesen, aber noch nie eine Demonstration gesehen hatte: automatisches Schreiben. Die Person, die versuchte, auf diese Weise mit einer toten (oder einer lebenden) Seele Kontakt aufzunehmen, hielt einen Stift mit der Spitze auf einem leeren Blatt Papier locker in der Hand und wartete einfach darauf, daß der Geist - in beiden Bedeutungen des Wortes - ihn bewegte. Thad hatte gelesen, daß automatisches Schreiben, das mit Hilfe eines Ouija-Brettes praktiziert werden konnte, oft als eine Art Ulk oder als Zeitvertreib bei Parties versucht wurde, und daß es überaus gefährlich sein konnte -
daß der Ausübende damit sogar einer Form von Besessenheit Tür und Tor öffnete.
Als Thad das las, hatte er es weder geglaubt noch bezweifelt; es kam ihm für sein eigenes Leben so abwegig vor wie die Anbetung heidnischer Idole oder die Praxis des Kartenlegens. Jetzt schien es seine eigene, tödliche Logik zu haben. Aber dazu mußte er die Sperlinge kommen lassen.
Er dachte an sie. Er versuchte, das Bild al dieser Vögel heraufzubeschwören, all dieser Tausende von Vögeln, die unter einem milden Frühlingshimmel auf Dachfirsten und Telefonleitungen saßen und auf das telepathische Signal zum Aufschwingen warteten.
Und das Bild kam - aber es war flach und unwirklich, eine Art Gemälde ohne eine Spur von Leben. So war es oft, wenn er mit dem Schreiben anfing - ein trockenes und steriles Unterfangen. Nein, es war sogar noch schlimmer. Zu Anfang kam er sich immer ein bißchen obszön vor - fast so, als küßte er eine Leiche.
Aber er hatte herausgefunden, daß, wenn er dabei blieb, wenn er einfach fortfuhr, die Worte aufs Papier zu bringen, etwas anderes sich Bahn brach, etwas, das wunderbar und entsetzlich zugleich war. Die Worte als individuelle Einheiten begannen zu verschwinden. Charaktere, die gestelzt und leblos gewesen waren, begannen sich zu lockern, als hätten sie die Nacht in einem engen Schrank verbracht und müßten erst ihre Muskeln aufwärmen, bevor sie mit ihrem komplizierten Tanz anfangen konnten. Irgend etwas ging in seinem Gehirn vor sich; er konnte fast spüren, wie sich die Form der elektrischen Wellen veränderte, wie sie aus ihrem steifen Gänsemarsch herausfanden und übergingen in die sanften, gelassenen Deltawellen des Träumens.
Jetzt saß Thad mit dem Bleistift in der Hand über sein Tagebuch gebeugt da und versuchte, genau das geschehen zu lassen. Doch als die Minuten vergingen und nichts passierte, kam er sich in zunehmendem Maße töricht vor.
Eine Zeile aus dem alten Rocky and Bullwinkle-Zeichentrickfilm kam ihm in den Sinn und weigerte sich, wieder zu verschwinden: Ho-kus-pokus-fidibus, gleich werden die Geister sprechen! Was in aller Welt sollte er zu Liz sagen, wenn sie auftauchte und ihn fragte, was er hier täte - mit einem Bleistift in der Hand und einem leeren Blatt Papier vor sich, ein paar Minuten vor Mitternacht? Daß er versuchte, ein Häschen auf einen Streichholzbrief zu zeichnen, um damit ein Stipendium an der Famous Artist's School in New Haven zu gewinnen? Schließlich hatte er nicht einmal einen dieser Streichholzbriefe zur Hand.
Er war im Begriff, den Bleistift zurückzustecken; doch dann hielt er inne. Er hatte seinen Stuhl ein wenig gedreht, so daß er zu dem Fenster links neben seinem Schreibtisch hinausschauen konnte.
Da draußen war ein Vogel. Er saß auf dem Fenstersims und sah ihn mit glänzenden schwarzen Augen an.
Es war ein Sperling.
Ein weiterer kam hinzu.
Und noch
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