Stark (Dark Half)
gegeben, in denen Stark still und kaum vorhanden war. Dann kam ihm die Idee, und dann sprang der gerissene alte George aus seinem Kopf wie ein Schachtelmännchen. Hier bin ich, Thad! Sattle die Pferde, und auf geht's, alter Freund!
Und danach erschien Stark ungefähr drei Monate lang jeden Morgen pünktlich um zehn Uhr, werktags und sonntags. Er ergriff einen der Berol-Bleistifte und machte sich daran, seinen verrückten Blödsinn zu schreiben -
den verrückten Blödsinn, der die Rechnungen bezahlte, die Thads eigene Arbeiten nicht bezahlen konnten. Und wenn das Buch dann fertig war, verschwand George wieder in der Versenkung, genau wie Rumpelstilzchen, nachdem es Stroh zu Gold gesponnen hatte.
Thad holte einen der Bleistifte aus dem Topf, betrachtete die schwachen Spuren, die seine Zähne darauf hinterlassen hatten, und ließ ihn dann wieder hineinfal en.
»Meine dunkle Hälfte«, murmelte er.
Aber war George Stark sein eigen? War er es je gewesen? Von seiner Trance oder Fugue - oder was immer es gewesen sein mochte — abgesehen, hatte er keinen dieser Bleistifte mehr benutzt, nicht einmal, um sich Notizen zu machen, seit er auf die letzte Seite des letzten Stark-Romans Riding to Babylon das Wort Ende geschrieben hatte.
Schließlich hatte er keinerlei Veranlassung gehabt, sie zu benutzen; es waren George Starks Stifte, und Stark war tot — zumindest hatte er das geglaubt. Er nahm an, daß er sie früher oder später weggeworfen hätte.
Aber jetzt schien es, als hätte er doch noch Verwendung dafür.
Er streckte die Hand nach dem Steinzeugtopf aus, dann zog er sie zurück wie von einem Ofen, von dem eine intensive, eifersüchtige Hitze ausgeht.
Noch nicht.
Er holte den Kugelschreiber aus der Brusttasche seines Hemdes, schlug sein Tagebuch auf, zog die Kappe ab, zögerte einen Moment. Dann schrieb er.
Wenn William weint, weint auch Wendy. Aber ich habe festgestellt, daß die Bande, die zwischen ihnen bestehen, noch wesentlich stärker sind und tiefer gehen. Gestern fiel Wendy von der Treppe und holte sich einen blauen Fleck, der aussah wie ein purpurfarbener Pilz. Als die Zwillinge aufwachten, hatte William auch einen blauen Fleck. An der gleichen Stelle, von der gleichen Form.
Thad verfiel in den Stil der Selbstbefragung, dessen er sich auf weiten Strecken seines Tagebuchs bediente.
Dabei wurde ihm bewußt, daß schon diese Gewohnheit - diese Methode, sich einen Pfad zu dem zu ertasten, was er wirklich dachte - auf eine weitere Form der Dualität verwies; aber viel eicht war es auch nur ein weiterer Aspekt einer geistigen und seelischen Spaltung, etwas, das fundamental und mysteriös zugleich war.
Frage: Wenn ich von den blauen Flecken auf den Beinen meiner Kinder Dias anfertigte und sie aufeinanderlegte - würde es dann aussehen wie ein einziges Bild?
Antwort: Ja, ich nehme es an. Ich glaube, es ist genau so wie bei den Fingerabdrücken. Ich glaube, es ist genau so wie bei den Stimmanalysen.
Thad saß einen Moment still da, tippte mit dem Ende des Kugelschreibers auf das Tagebuch, dachte nach.
Dann beugte er sich wieder vor und begann, schneller zu schreiben.
Frage: WEISS William, daß er einen blauen Fleck hat?
Antwort: Nein, ich glaube nicht.
Frage: Weiß ich, was die Sperlinge sind und was sie zu bedeuten haben?
Antwort: Nein.
Frage: Aber ich weiß, daß es die Sperlinge GIBT. So viel weiß ich. Was immer Alan Pangborn oder sonst jemand glauben mag - ich weiß, daß es die Sperlinge GIBT, und ich weiß, daß sie wieder fliegen. Stimmt das?
Antwort: ]a.
Jetzt flog der Stift über das Papier. Seit Monaten hatte er nicht mehr so schnell oder so selbstvergessen geschrieben.
Frage: Weiß Stark, daß es die Sperlinge gibt?
Antwort: Nein. Er behauptet, es nicht zu wissen, und ich glaube ihm.
Frage: Glaube ich ihm wirklich?
Er hielt abermals einen Moment inne, dann schrieb er:
Antwort: Stark weiß, daß es IRGEND ETWAS gibt. Aber William muß gleichfal s wissen, daß es etwas gibt - wenn er einen blauen Fleck am Bein hat, muß er ihm wehtun. Aber bekommen hat er den blauen Fleck von Wendy, als sie von der Treppe fiel. William weiß nur, daß da eine Stelle ist, die ihm wehtut.
Frage: Weiß Stark, daß er eine Stelle hat, die ihm wehtut? Eine Stel e, an der er verletzlich ist?
Antwort: Ja, ich glaube, das weiß er.
Frage: Gehören die Vögel mir?
Antwort: ]a.
Frage: Bedeutet das, daß er nicht wußte, was er tat, als er bei Clawson und bei Miriam DIE SPERLINGE FLIEGEN
WIEDER an die
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