StatusAngst
hoffen. [...] Der Reiche prahlt mit seinem Reichtum, weil er meint, damit auf natürliche Weise die Aufmerksamkeit der Welt auf sich zu ziehen. Der Arme hingegen schämt sich seiner Armut. Er glaubt, dass sie ihn den Augen der Menschheit entzieht. Das Gefühl, nicht beachtet zu werden, enttäuscht zwangsläufig die innigsten Bedürfnisse der menschlichen Natur. Der Arme geht und kommt unbeachtet, und inmitten der Menge bleibt er genauso unbemerkt wie in der Einsamkeit seiner Hütte. Der Mann von Rang und Würden hingegen wird von aller Welt beachtet. Jeder ist begierig, ihn zu sehen. Seine Taten sind Gegenstand öffentlicher Anteilnahme. Kaum ein Wort, kaum eine Gebärde, die von seiner Seite kommt, wird übersehen.«
3
Jeder Lebenslauf, könnte man sagen, wird durch zwei große Liebesgeschichten bestimmt. Die erste — die Geschichte unserer Suche nach geschlechtlicher Partnerschaft — ist allbekannt und bestens dokumentiert, ihre Irrungen und Wirrungen liefern den Urstoff von Musik und Literatur, sie wird gesellschaftlich gefordert und gefeiert. Die zweite — die Geschichte unseres Werbens um die Liebe der Welt — nimmt einen heimlicheren und beschämenderen Verlauf. Wenn sie überhaupt thematisiert wird, dann in sarkastischen, spöttischen Tönen, als etwas, das vor allem für Neidische und zu kurz Gekommene von Interesse sein könnte, oder aber der Hunger nach Status wird auf seinen wirtschaftlichen Aspekt reduziert. Und doch ist diese zweite Liebesgeschichte nicht weniger brisant als die erste, nicht weniger kompliziert, einschneidend, universell, und ihre Rückschläge sind nicht weniger schmerzhaft. Auch hier gibt es gebrochene Herzen, erkennbar am stumpfen, resignierten Blick derer, die die Welt zu Niemanden stempelt.
Die Bedeutung der Liebe
1
William James, The Principles of Psychology, Boston 1890:
»Eine teuflischere Strafe, wenn sie denn physisch möglich wäre, könnte nicht ersonnen werden als die, in die Gesellschaft entlassen und von all ihren Mitgliedern vollkommen ignoriert zu werden. Würde sich bei unserem Eintreten niemand umdrehen, niemand auf unsere Anrede reagieren oder auf unser Tun achten, sondern jeder, den wir treffen, uns schneiden und so tun, als existierten wir gar nicht, würde in kürzester Zeit eine solche Wut und ohnmächtige Verzweiflung in uns aufwallen, dass die grausamste Folter uns Erlösung wäre.«
2
Welche Auswirkungen hat fehlende Liebe? Warum löst das Ignoriertwerden eine solche »Wut und ohnmächtige Verzweiflung« aus, dass die grausamste Folter uns als Erlösung erschiene?
Man könnte sagen, das Verhalten der anderen ist von grundlegender Bedeutung für uns, weil wir mit einem angeborenen Selbstzweifel behaftet sind, und so bestimmt das, was andere von uns halten, entscheidend mit, wie wir uns selbst sehen. Das Urteil der anderen hält unser Selbstbild am Gängelband. Lachen sie über unsere Witze, wird unsere Überzeugung, witzig zu sein, gestärkt. Loben sie uns, entwickeln wir den Glauben, große Verdienste zu haben. Doch blicken sie bei unserem Eintreten zur Seite oder begegnen uns mit Ungeduld, kaum dass wir unseren Beruf nennen, können uns Selbstzweifel und Minderwertigkeitsgefühle befallen.
In einer idealen Welt wären wir besser gerüstet. Uns könnte nichts so leicht erschüttern; ob wir nun beachtet oder ignoriert, gelobt oder verlacht würden. Wir würden nicht so leicht auf Schmeicheleien hereinfallen. Uns könnte, da wir uns selbst geprüft und für wert befunden hätten, nicht bekümmern, dass uns jemand für bedeutungslos hält. Wir würden unseren Wert kennen. Doch stattdessen scheinen wir eine ganze Reihe unterschiedlicher Selbstbilder zu hegen. Wir kennen Beweise für unsere Geschicklichkeit, Schlagfertigkeit und Bedeutsamkeit, aber auch für unsere Dummheit, Schlafmützigkeit, Überflüssigkeit. Und angesichts dieser Schwankungsbreite fällt es in der Regel der Gesellschaft zu, die Frage nach unserem Wert zu beantworten. Kränkungen aktivieren sofort unsere latenten Minderwertigkeitsgefühle, während ein Lächeln oder ein Kompliment ebenso schnell das Gegenteil bewirkt. Wir scheinen der Zuneigung anderer zu bedürfen, um uns selbst zu ertragen.
Unser »Ego« oder Selbstbild könnte man sich als undichten Luftballon vorstellen, in den ständig Liebe hineingepumpt werden muss, während schon die kleinsten Sticheleien fatale Folgen haben. Es ist schon deprimierend und absurd, wie sehr wir unter
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