Staub Im Paradies
zwei abgasgeplagte Palmen säumen den Eingang.
So was wie eine Rezeption gibt es nicht, aber man scheint auf uns gewartet zu haben. Jedenfalls führt uns eine große Delegation von Menschen in weißen Kitteln umgehend zu dem verletzten Jürg Deiss in den ersten Stock. Anna stürzt im Gang auf mich zu und umarmt mich, bevor sie auch Tschaggat begrüßt, indem sie ihm zärtlich über seine Brust streicht.
Das Zimmer, das wir betreten, ist brechend voll, obwohl nur zwei Betten belegt sind. Denn um das Krankenlager neben jenem von Deiss hat sich ein halbes Dorf versammelt, um einem winselnden Mann Mut zuzusprechen. Zwei Frauen in violetten Saris tupfen dem Bedauernswerten abwechselnd den Schweiß von der Stirn. Weitere Verwandte bereiten auf Methankochern ein würzig riechendes Curry zu.
»Ein Kraitbiss!«, deutet Anna auf den Mann.
»Ist er zu retten?«, will ich wissen.
»Vermutlich nicht, es dauerte zu lange, bis er das Gegenserum erhielt.«
»Der Mann stirbt an einem Schlangenbiss?«, empöre ich mich.
»Das tun hier jedes Jahr Tausende, Papa«, erklärt mir Anna ernst.
»Und Jürg?«, wende ich mich etwas hilflos von dem Leidenden ab, welcher im Beisein seiner Verwandten um sein Leben ringt.
»Der wird sicher durchkommen«, meint Anna. »Der Beinbruch ist allerdings sehr kompliziert, wenn ich die Röntgenbilder richtig deute. Vielleicht muss er nochmals operiert werden.«
»Können die das hier?«
»Im Prinzip schon«, meint sie. »Das Problem ist die technische Ausrüstung. Vielleicht muss er ins Universitätsspital nach Kandy verlegt werden. Oder nach Colombo.«
Tschaggat wirft einen kritischen Blick auf die Röntgenbilder, die ihm Anna reicht, und zieht sich zurück, um mit dem leitenden Arzt zu sprechen.
»Chirurg ist er zwar nicht, aber er hat natürlich ein medizinisches Grundstudium absolviert, bevor er sich auf Tropenmedizin spezialisierte«, erläutert mir Anna und blickt mich fragend an.
Sie will hören, wie ich ihn finde, das ist mir klar – wobei sie alles andere als uneingeschränkte Verehrung nicht akzeptieren würde.
»Großartig«, sage ich deshalb und nicke wohlwollend.
Anna pufft mich in die Rippen, während sich Verasinghe neben mir bescheiden räuspert und sein Gesicht zwei Millimeter in Jürgs Richtung bewegt.
»Ist er ansprechbar?«, frage ich meine Tochter.
Sie zieht skeptisch ihre Mundwinkel nach unten. »Ihr könnt es versuchen, aber haltet euch bitte kurz.«
Ich lehne mich mit einem vertrauenerweckenden Lächeln über Jürg und sehe, dass sein Bein geschient ist und die Prellungen und Schürfungen im Gesicht und an der Brust mit Salben und Gaze verpflastert wurden. Der Mann bietet ein Bild des Jammers. Immerhin sind seine Augen klar und offen.
»Kannst du sprechen?«, frage ich ihn.
Er haucht mir ein leises Ja entgegen.
»Hast du irgendwas gesehen?«
Jürg versucht den Kopf zu schütteln, was ihm aber offensichtlich nicht bekommt. Er zuckt zusammen, schließt für einen Moment die Augen und holt ein paarmal tief Luft. Dann krächzt er: »Nein!«
»Sind Sie bedroht worden?«, mischt sich Verasinghe ungeduldig ein.
Jürg Deiss verneint auch das. Er schnappt erneut nach Luft, scheint irgendetwas loswerden zu wollen.
»Waren es wirklich die Tamil Tigers? «, fragt er.
Das verneint Verasinghe zu meiner Überraschung heftig, ja fast schon empört.
»Wer dann?«, frage ich ihn irritiert.
Mein sri-lankischer Kollege dirigiert mich durch die kochende Großfamilie hinaus auf den Balkon.
»Die Tigers schießen nicht auf Touristen«, erklärt er mir dort flüsternd.
»Gewöhnliche Kriminelle?«, schlage ich vor.
Aber Verasinghe hat offensichtlich eine andere Theorie. Er schaut geduldig an mir vorbei, erhofft sich wohl, dass ich selbst ausspreche, was er vermutet.
»Ein gezielter Anschlag mit einem Motiv? Auf genau diese zwei Schweizer?«, tue ich ihm unwillig den Gefallen und erinnere mich plötzlich daran, dass Rainer mich kurz vor seinem gewaltsamen Tod noch darauf angesprochen hatte, ich sei doch Polizist.
»Jedermann hat gesehen, wie sie in die Stadt fuhren, und wusste, dass sie auf derselben Straße zurückkehren würden«, führt Verasinghe aus. »Die Distanz zu den Felsen, bei denen mein Kollege die Patronenhülsen gefunden hat, beträgt mehr als zweihundert Meter. So gut schießen unsere Kriminellen nicht. Und die Rebellen schon gar nicht.«
»Ihr habt Patronenhülsen gefunden?«
Er wiegt den Kopf hin und her. »Zwei Stück. Die Kugeln stecken noch in Ihrem
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