Stefan George - Karlauf, T: Stefan George
der Prototyp des »Typus inversus neuroticus« gewesen, ein Verdränger, der seine Homosexualität nicht habe akzeptieren können und für den der echte Männerheld in Gestalt des SA-Chefs Röhm daher eine existentielle Bedrohung gewesen sei. Gerade weil er von ihm so fasziniert war, habe er sich des »Rivalen« 1934 auf brutale Weise entledigt und anschließend die gnadenlose Verfolgung der Homosexuellen befohlen. 10
In George und seinem Kreis glaubte Blüher »geradezu ein Musterbeispiel« der männlichen Gesellschaft ersten Grades entdeckt zu haben. »Der von mir geprägte Eros-Begriff passt genau. Kein Mensch kann wissen, und es ist zudem völlig gleichgültig, ob George mit seinen Lieblingen ›sexuelle‹ Handlungen begangen hat oder nicht; aber dass sein Eros allein dem Jünglinge galt, daran kann es keinen Zweifel geben.« 11 Weil er den Dichter für einen echten Männerhelden hielt, wollte es Blüher allerdings nicht einleuchten, dass George es vorzog, über Dinge, die so klar seien und auch der Klarheit bedürften, »in nebulosem Prunk-Deutsch zu reden«. Aus Verehrung für ihn ließ er die beiden Bände seines Hauptwerkes jeweils mit einem Gedicht aus dem Stern des Bundes ausklingen. 12
Wenn im Leben eines jungen Mannes früher oder später das Bild des Jünglings auftauche, so Blüher am Ende von Die Rolle der Erotik in der männlichen Gesellschaft , schließe er sich mit anderen Jünglingen zusammen und gemeinsam träten sie an, die Welt zu verbessern. »In jedem Manne lebt, meistens im Halbbewussten, die Idee eines obersten Männerbundes.« 13 In dieser Vorstellung konzentriere sich für ihn alles, was er sich an Erhabenem überhaupt nur vorstellen könne. Der Knabenliebhaber als der wahre Erzieher habe keine wichtigere Aufgabe als die, im Jüngling die Idee des obersten Männerbundes zu fördern.
Vor diesem Hintergrund, der Sehnsucht breiter bürgerlicher Schichten nach dem großen Menschen und Führer der Jugend, nahm die Verehrung für Stefan George unter den 15- bis 25-Jährigen am Vorabend des Ersten Weltkrieges überdimensionale Ausmaße an. Vergleichbare Phänomene begegnen erst wieder in der Pop-Kultur Mitte der sechziger Jahre. »Ich stehe manchmal so ergriffen vor den ewigen Zeichen die Ihre Hand in unser Leben geschrieben, dass meine Augen feucht werden«, heißt es in einem der zahlreichen Briefe jugendlicher Verehrer, die sich in Georges Nachlass erhalten haben. 14 »Nach langem zögern und niedergeworfen-sein hebe ich aufs neue meinen blick zu Ihnen, dem grossen Richter aber auch sorgenden Hirten«, schreibt ein anderer, nachdem er von George empfangen
worden war. »Gewähren Sie mir wieder in einem raume mit Ihnen zu atmen und die armen ranken meiner liebe um sie zu winden.« 15 Im April 1911 bittet ein 17-jähriger Wiener den Dichter, ihm mitzuteilen, wie er in den Besitz eines Gedenkbuchs gelangen könne:
Geliebter Meister, ich fühlte mich bisher nicht berufen, Ihnen zu schreiben. Denn ich weiß, dass ich trotz jahrelangen ringens noch lange nicht so hoch und weise bin, dass ich auch nur wagen dürfte, mich irgendwie an Sie zu dringen. Ich habe Ihnen mein Leben geweiht … Darum neige ich mich tag für tag vor Ihnen und lebe von der ausstrahlung, die von Ihren Büchern ausgeht … Aber Ihr Gedenkbuch »Maximin « konnte ich nirgends bekommen … Und gerade dies buch hat so eine bedeutung für mich, denn ich liebe Maximin und bete ihn an … Ich vertraue auf Sie und kann Ihnen nicht mehr sagen als dass ich um Ihretwillen Vaterhaus und Gut und Geliebte lassen könnte … Ihr geringer Jünger Harry Bodeck 16
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Einem Gesprächspartner, vorzugsweise einem ansehnlichen jungen, durch Beharrlichkeit zur Erkenntnis zu verhelfen und so das in ihm schlummernde Wissen zu »entbinden«, nennt die Philosophie Mäeutik (Hebammenkunst). Gemeint ist das erotisch aufgeladene Spiel von Frage und Antwort, mit dem Sokrates in den Platonischen Dialogen die Jeunesse dorée von Athen in Verwirrung stürzte. Wenn er die Jugend vom Gegenteil dessen überzeugt hatte, was ihr am Abend zuvor noch selbstverständlich schien, verließ er die Gesellschaft bei Tagesanbruch als der Heiterste und Frischste von allen. Das Symposion als Bild und Wirklichkeit hat Georges Vorstellung so stark geprägt, dass Ernst Glöckner vermutete, er müsse irgendwann in seiner Jugend Platons Gastmahl gelesen und am gleichen Tag beschlossen haben, »dieses auch zu leben«. 17
Die Vermutung war falsch – George begann sich erst
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