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Stefan George - Karlauf, T: Stefan George

Stefan George - Karlauf, T: Stefan George

Titel: Stefan George - Karlauf, T: Stefan George Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Karlauf
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1909/10 eingehender mit Platon zu befassen. 18 Tendenziell jedoch lag Glöckner richtig. Der Geist Platons sei nie und nirgends so lebendig gewesen wie unter den Freunden Georges, heißt es an vielen Stellen der Erinnerungsliteratur.
»Wenn wir staat sagen, ist er mit im raum.« 19 Aus dem Geist des Freundeskreises heraus habe man einen neuen Zugang zu Platon gefunden, und so wie man Platon mit den Augen Georges, so habe man George mit den Augen Platons gelesen. Die »Georgisierung Platons« ging Hand in Hand mit der »Platonisierung Georges«, die Parallelisierung wurde auf allen Ebenen mit Nachdruck betrieben. 20 Nur wenige dürften allerdings gewusst haben, dass der Stern des Bundes mit einem Platon-Zitat eröffnete: »Du stets noch anfang uns und end und mitte.« 21
    Mit dem Ende 1914 erschienenen Platon-Buch von Heinrich Friedemann war die Konvergenz für George schlüssig bewiesen. Wegen seines bombastischen Stils galt das Werk des Dresdener Philologen unter den Freunden zwar als ziemlich ungenießbar, aber George ließ nichts darauf kommen. »Zwischen Wissenschaft und Dichtung gebe es eine Zwischenart; es gebe Menschen, die ein Erlebnis haben, und es doch nicht dichterisch ausdrücken könnten; aber sie geben es in einer irgendwie erhöhten Sprache.« 22 Für George stand das Buch auf einer Stufe mit der Geburt der Tragödie und am Anfang aller Wissenschaftswerke aus dem Kreis der Blätter für die Kunst. 23 Mit Recht wurde Friedemanns Deutung der platonischen Idee von Carola Groppe »als kultische Mitte der Gemeinschaft« bezeichnet. 24
    Der erste Hinweis auf Platon findet sich im Februar 1910. Eines Morgens, so erinnerte sich Herbert Steiner an die gemeinsamen Tage in München, habe ihm George aus dem Phaidros die Rede des Sokrates vom Liebenden und vom Geliebten und von den beiden Rossen vorgelesen, dem schwarzen und dem weißen. Vier Monate später zitierte George in einem Brief an Gundolf zwei Sätze aus seiner aktuellen Lektüre, Nietzsches Götzendämmerung , und fügte in einer bemerkenswerten, seine früheren Einwände gegen den Philosophen deutlich relativierenden Formulierung hinzu: »In Nietzsche steht doch ziemlich alles. Er hat die wesentlichen grossen dinge verstanden: nur hatte er den PLASTISCHEN GOTT nicht (daher sein missverstehen der Griechen besonders Platons).« 25 Ihm selber, meinte er später einmal im Gespräch, sei die gesamte griechische Literatur
einschließlich Platons »erst aus der Plastik heraus lebendig geworden«. 26
    Die archaische Rundplastik, die monumentale Darstellung nackter Jünglinge im 7. und 6. vorchristlichen Jahrhundert, bedeutete für George den Anfang einer neuen Weltsicht. »Das Unerhörte dieses neuen Augenblicks«, schrieb Woldemar von Uxkull 1919 in einem von ihm herausgegebenen Bildband mit Meisterwerken archaischer Plastik, liege »in der Erkenntnis des menschlichen Leibes als der statuarischen Urbildlichkeit an sich, ohne Rücksicht auf seine Funktion und Beziehung«. 27 Von dieser statuarischen Urbildlichkeit der Kouroi habe Nietzsche keine Ahnung gehabt – so hat man die etwas rätselhafte Formulierung in Georges Brief an Gundolf wohl zu verstehen -, sonst hätte er Platon, bei dem sich doch alles um das Schöne drehe, nicht für den Totengräber der griechischen Philosophie halten können. Wie stark sich George in dieser Zeit für den Zusammenhang von griechischer Plastik und neuem »körperhaften Sehen« interessierte, geht unter anderem aus der Korrespondenz mit Morwitz hervor. Wohl auf Georges Wunsch setzte sich Morwitz im Mai 1911 ausführlich mit Herders Aufsatz über die antike Plastik auseinander: »Wenn man also eine Bildsäule erkennen will, so ist das blosse Sehen natürlich auch und zwar primär erforderlich es muss aber getragen sein oder es muss zur Grundlage haben: das körperhafte Sehen. Das haben heute die wenigsten und das war nur möglich in der Offenheit des griechischen Lebens. Daher heute der Vorzug der Malerei; denn sie stellt weniger Anforderungen.« 28
    »Zeugung eines neuen geistigen heisst uns philosophie«, so stand es 1914 knapp und unscharf bei Heinrich Friedemann. 29 In der Diotima-Rede am Ende des Gastmahls hat Platon diesen Zeugungsprozess beschrieben. Er unterschied zwischen dem leiblichen Zeugungsdrang und dem Wunsch, sich im Schönen fortzupflanzen. Die einen setzten Kinder in die Welt. Die anderen suchten ihr Verlangen nach dem Schönen im Umgang mit einer schönen Seele zu stillen. Wer die Sache gründlich angehen

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