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Stefan George - Karlauf, T: Stefan George

Stefan George - Karlauf, T: Stefan George

Titel: Stefan George - Karlauf, T: Stefan George Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Karlauf
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Worten gehalten ist, drucken und verkaufen ließe … Das Geheimnis gehört nicht vor die Ohren des Marktes? Aber dann erst
recht nicht das Reden vom Geheimnis! … Man darf nicht befehlen ›Hier schließt das Tor‹ und – den Schlüssel aus dem Schlüsselloch nehmen, damit die von draußen doch hereinschauen können.« 97
    Weil fortwährend abgegrenzt werde »zwischen Geweihten und Ungeweihten«, kam es Buber so vor, als wäre die Abgrenzung selbst das Geheimnis. Das eigentlich Unerhörte des Sterns , seine simple Faktizität, überstieg wohl sein Vorstellungsvermögen. Georges Strategie, Öffentlichkeit als den sichersten Schutz zu wählen, ging auf. Nur wenige waren in der Lage und trauten sich, die Frage zu stellen, wozu denn der ganze Aufwand betrieben wurde und in welchem Punkt genau sich die »Geweihten« von den »Ungeweihten« unterschieden. Wer etwas wusste, schwieg. Den anderen fehlten Beweise. So konnte das »offene Geheimnis« zum entscheidenden Kriterium der Elitebildung werden.

6 Die charismatische Herrschaft
    Das Deutsche Reich am Vorabend des Ersten Weltkriegs war eine demographisch junge Gesellschaft. Seit der Jahrhundertwende galt Jugend nicht mehr nur ausschließlich als »vorstufe und zurichtung«, wie es in der Maximin-Rede hieß, sondern als eine besondere Lebensphase zwischen dem Ende der Kindheit und dem Eintritt ins Berufsleben, als eine eigene Lebensform. Die gesellschaftlichen Veränderungen hatten diesen Verselbständigungsprozess beschleunigt. Aufgrund der fortschreitenden Spezialisierung im Zuge der Arbeitsteilung, die längere Studien- und Ausbildungszeiten mit sich brachte, verließen männliche Jugendliche früher ihr Elternhaus und traten später ins Berufsleben ein. Die wesentlichen Stationen seiner Sozialisation erlebte der Heranwachsende nicht mehr, wie bisher, innerhalb der Familie, sondern in seiner jeweiligen Gruppe. Hier tauschte er sich mit Gleichaltrigen aus, die von den gleichen Ängsten und Nöten geplagt wurden, hier begegnete er Älteren, die ihm Orientierung versprachen und denen er sich bis zu seinem Eintritt in die Welt der Erwachsenen anvertrauen konnte.
    Die Verherrlichung der Jugend um ihrer selbst willen gehörte zu den wirkungsvollsten Tendenzen der Epoche. Die 1896 gegründete Zeitschrift Jugend konnte ihre Auflage innerhalb der ersten acht Jahre verdoppeln und erreichte am Ende mehr als hunderttausend Leser. Das neue Jahrhundert sollte aber nicht nur das Zeitalter der Jugend, sondern vor allem das Zeitalter der deutschen Jugend werden. Sie war die höchste Form von Jugend überhaupt und für viele der untrügliche Beweis nationaler Überlegenheit. »Der Jugendgedanke ist ein Vorrecht und Vorzug unseres Volkes, des deutschen«, lässt Thomas Mann im Doktor Faustus den Kommilitonen Deutschlin in Verzückung
geraten. »Die deutsche Jugend repräsentiert, eben als Jugend, den Volksgeist selbst, den deutschen Geist, der jung ist und zukunftsvoll.« Sie künde, metaphysisch gesprochen, »vom unendlichen Unterwegssein des deutschen Wesens«. 1
    »In einem Spektrum von romantischer Weltflucht bis hin zu militant politischem Konservatismus« spiegelte die Jugendbewegung aber auch »die Ängste der herrschenden Schichten wider«. 2 Sie entsprach dem allgemeinen Trend zu einer generellen Ästhetisierung des Lebens, »mit der das Bürgertum sich und seine Welt gegenüber der als bedrohlich empfundenen Modernisierung zu bewahren suchte«. 3 Obwohl es sich um »eine partielle Fluchtbewegung« handelte, kam der Jugendbewegung insgesamt dennoch »eine unbestreitbar emanzipatorische Funktion« zu. 4
    Zu den erfolgreichsten Modellen, die Stellung der Jugend zwischen den Lebensaltern neu zu bestimmen und die Phase der Adoleszenz für eine gesellschaftliche Radikalisierung zu nutzen, zählten die von 1902 an wie Pilze aus dem Boden schießenden Organisationen der Wandervogelbewegung auf der einen, die Landerziehungsheime und Freien Schulen auf der anderen Seite. Die Jugend selbst müsse wieder begreifen, schrieb Gustav Wyneken im Programm der 1906 von ihm gegründeten Freien Schulgemeinde Wickersdorf in Thüringen, dass sie »ihr eigenes Recht, ihr eigenes Leben, ihre eigene Schönheit hat und nicht lediglich Vorbereitungszeit, nicht lediglich Mittel zum Zweck ist«. 5 George stand beiden Projekten, sowohl dem mit Wimpel und Klampfe durch die Lande ziehenden Wandervogel als auch der Reformpädagogik, ablehnend gegenüber. »Wer aus Wickersdorf kommt, ist hoffnungslos

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