Stefan George - Karlauf, T: Stefan George
dein und meine runde / Sie sollst du füllen und wir sind erfüllt..« Eros ist die Macht, die jeden Widerstand bricht, seinem Ruf soll der Jüngere folgen: »kannst du wissen / Wohin ER mit dir mich führt?«
Zweifel und Selbstzweifel des Jüngers werden im zweiten Zehnt überwunden. »Selbst nicht wissend was ich suchte / Wusst ich in mir reiche triebe.« Die Gegenwehr erlischt, des Gebens und Nehmens ist kein Ende. »Da ich mit allen fibern an dir hänge / Möcht ich nur schöner voller mich entfalten«, ruft der Jünger, dessen höchste Verzückung darin besteht, »Dass ich als thon mich schmiege deinen händen.« Hinterher ist er ganz erstaunt: »Was ist geschehn dass ich mich kaum noch kenne / Kein andrer bin und mehr doch als ich war?« Aber auch der Ältere macht eine Wandlung durch; so wie der Jüngere sich seinem Schutz anvertraut, so ist er seinerseits auf ihn angewiesen: »Wie man zurücksieht nach dem klippensteg / Den man nur einmal heil durchmisst /…/ So schauderst du bei dem was dir gelang / Als ich in deine hände mich befahl..« Das Risiko bleibt bis zum Moment der Hingabe ein beiderseitiges. Ist »das dunkle opfer« vollzogen, erscheint dem Jüngeren alles Weitere leicht und mühelos, seine Unterwerfung unter den Älteren gilt fortan als seine zweite, eigentliche Geburt: »Seitdem ich ganz mich gab hab ich mich ganz.«
Im dritten Zehnt wird der Eros als solcher gefeiert. »Rückgekehrt vom land des rausches / Reicher strände frucht und blüte / Traf ich dich im heimat-lenze.. / Der ist goldgrün zart und spröde.« Ein besinnliches Beginnen liegt über allem: »Keimmonat ist es.. frühste frühe.« Gäbe es so etwas wie den philosophischen Extrakt der Georgeschen Poesie in zwölf Zeilen, fände er sich im vorletzten dieser Gedichte des Zweiten Buches :
Die einen lehren: irdisch da – dort ewig..
Und der: ich bin die notdurft du die fülle.
Hier künde sich: wie ist ein irdisches ewig
Und eines notdurft bei dem andern fülle.
Sich selbst nicht wissend blüht und welkt das Schöne
Der geist der bleibt reisst an sich was vergänglich
Er denkt er mehrt und er erhält das Schöne
Mit allgewalt macht er es unvergänglich.
Ein leib der schön ist wirkt in meinem blut
Geist der ich bin umfängt ihn mit entzücken:
So wird er neu im werk von geist und blut
So wird er mein und dauernd ein entzücken.
Das Dritte Buch behandelt das Binnenverhältnis der Gemeinschaft, hier wird der Umgang untereinander geregelt, »Wie jeder ist mit sich mit mir mit jedem«. Das neue Reich erhält seinen Namen: »Dies ist reich des Geistes /…/ Neugestaltet umgeboren / Wird hier jeder /…/ Väter mütter sind nicht mehr.. /Aus der sohnschaft, der erlosten, / Kür ich meine herrn der welt.« Bestimmt wird das Verhältnis zum Adel, zu den Sozialisten, zu den Frauen, zu allen möglichen Verführern. Zahlreich sind die Abgrenzungen nach außen: »Hier schliesst das tor: schickt unbereite fort.« Nach drinnen, in der Ansprache an die Getreuen, überwiegen die rituellen Beschwörungen: »Wer je die flamme umschritt / Bleibe der flamme trabant!« – »Glaube / Ist kraft von blut ist kraft des schönen lebens.« Die Gemeinschaft selbst wird zum »liebesring dem nichts entfalle«, hier »Holt kraft sich jeder neue Tempeleis«. Bevor der Meister sie alle wieder entlässt und in die Welt hinausschickt – »im gang getrennt im zweck gesellt« -, stimmen sie gemeinsam den »Schlusschor« an: »Gottes pfad ist uns geweitet / Gottes land ist uns bestimmt.«
»Es graust einem, wenn man an das Buch denkt«, schrieb Walter Wenghöfer nach gemeinsamer Lektüre mit Thormaehlen im Februar 1914. »Und wenn man es liest, ist man nur Liebe.« 94 An Thormaehlen waren immerhin einige der zentralen Gedichte des Zweiten Buches gerichtet; über den Blätter -Dichter Wenghöfer sagte George später, dass er »die ersehnte schwelle« wenigstens gesehen habe. 95 Wenn schon Nahestehende dermaßen verunsichert waren, wie sollten da weniger wohlwollende Leser urteilen?
Der Stern des Bundes war der ungeheuerliche Versuch, die Päderastie mit pädagogischem Eifer zur höchsten geistigen Daseinsform zu erklären. Wer dies nicht sah oder nicht sehen wollte, musste die tausend Verse für inkommensurabel halten. Für »das choreographische Arrangement des Veitstanzes«, wie Walter Benjamin. 96 Oder schlicht für Scharlatanerie, wie Martin Buber. Der Stern des Bundes wirke auf ihn, »als ob ein geheimer Orden seine Regel, die in dunklen und bedeutenden
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