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Stefan Zweig - Gesammelte Werke

Stefan Zweig - Gesammelte Werke

Titel: Stefan Zweig - Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
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wußte nicht, warum. Alle Stimmen in ihr streckten ängstlich ihre rufenden Arme aus, aber das harte, kurze Nein wollte nicht den milden begütigenden Worten dieses alten Mannes entgegen, den sie mit wachsender Liebe verehrte. Sie fühlte, daß sie ihm nichts verweigern konnte. Und sein Schweigen und die Frage seiner gespannt wartenden Blicke lasteten so schwer auf ihr, daß sie hätte aufschreien mögen, blind, tierisch, ohne Zweck und ohne Worte. Wahnsinnig packte sie der Haß gegen dieses ruhig schlummernde Kind, das in den Frieden ihrer einzig stillen Stunde hereingebrochen war und ihre träumerische Traulichkeit zerstörte. Aber sie fühlte sich schwach und wehrlos gegen die gütige Weise dieses alten geruhigen Mannes, der wie ein weißer, einsamer Stern über ihrem dunklen, tiefen Leben stand. Und wieder, wie zu jeder seiner Bitten, neigte sie demütig und verwirrt das Haupt.
    Da sprach er nicht weiter, sondern machte sich daran das Bild zu beginnen. Zunächst zeichnete er nur den Umriß. Denn, um den inneren Gedanken seines Werkes darzustellen, war Esther noch viel zu unruhig und zu verwirrt. Der träumerische Ausdruck war gänzlich gewichen. In ihren Blicken lag etwas Krampfhaftes und Gezwungenes, weil sie es unausgesetzt vermied, dem Anblick des nackten schlafenden Kindes auf ihrem Schoße zu begegnen und in endloser stumpfer Wiederholung die Wandhöhe mit den ihr innerlich gleichgültigen Bildern und Zierraten fixierte. Auch in ihren Händen war dieser Ausdruck der Gezwungenheit und Steifheit von der Furcht aufgezwungen, sie möchte den Körper berühren müssen. Dazu fühlte sie die Last schwer auf den Knieen, ohne eine Regung zu wagen. Nur ein gespannter Zug in ihrem Gesichte verriet stärker und stärker die qualvolle Anstrengung, so daß der Maler schließlich selbst, obwohl er nicht ihren ererbten Abscheu, sondern nur mädchenhafte Scheu voraussetzte, ihr Unbehagen zu ahnen begann und die Sitzung unterbrach. Das Kind schlief ruhig weiter, wie ein sattes Tier, und merkte nichts, wie es der Maler mit sorgfältigen Händen von dem Schoße des Mädchens abhob und es im Nebenzimmer auf das Bett legte, wo es blieb, bis seine Mutter, eine derbe holländische Schiffersfrau, die für einige Zeit nach Antwerpen verschlagen war, es wieder abholte. Aber, ob man sie auch von der körperlichen Last befreit, fühlte sich Esther doch noch von dem Gedanken schwer bedrückt, daß Tag für Tag sie gleiche Bangigkeit erfüllen sollte.
    Unruhig ging sie und unruhig kam sie wieder in den nächsten Tagen. Im geheimen hegte sie die Hoffnung, daß der Maler auch diesen Plan aufgeben würde und der Entschluß wurde drängender und überquellender, ihn mit einem ruhigen Worte darum zu bitten. Aber nie vermochte sie es; ein innerer Stolz oder eine geheime Scham hielten die Worte zurück, die schon auf ihren Lippen zuckten, so wie schwungbereite Vögel, die prüfend ihre Schwingen flattern lassen, bereit, sich im nächsten Augenblicke frei emporzustoßen in die Luft. Aber während sie Tag für Tag kam und ihre Unruhe gewissermaßen schon mit sich trug, wurde diese Scham nach und nach eine unbewußte Lüge, denn sie hatte sich schon damit vertraut gemacht, wie mit einer lästigen Selbstverständlichkeit. Es fehlte nur noch der Augenblick der Erkenntnis. Das Bild schritt inzwischen wenig fort, obwohl der Maler ihr es mit vorsichtigen Worten andeutete. In Wirklichkeit umfaßte sein Rahmen nur die leeren und unwichtigen Linien der Gestalten und ein paar flüchtige versuchende Tönungen. Denn der alte Mann wartete, bis Esther sich mit dem Gedanken ausgesöhnt hätte und suchte nicht zu beschleunigen, was er mit Sicherheit erhoffte. Vorläufig kürzte er nur die Stunden der Sitzungen und sprach viel von allerlei gleichgültigen Dingen, die Anwesenheit des Kindes und Esthers unruhige Erregung mit Absicht übersehend. Er schien heiterer und sicherer als je.
    Und sein Vertrauen betrog ihn diesmal nicht. Denn einer dieser Vormittage war hell und warm, das Fenster umschnitt mit seinen Kanten eine lichte und durchsichtige Landschaft: Türme, die ferne waren und doch ihren goldglänzenden Schein wie von nahe schimmern ließen, Dächer, von denen der Rauch leise und sanftgekräuselt sich in das tiefe und wie damastene Himmelsblau verlor, weiße Wolken, die ganz nahe standen, als wollten sie sich niedersenken wie ein flaumiger flatternder Vogel in dieses dunkelflutende Meer der Dächer. Und mit vollen Händen warf die Sonne ihr Gold herein,

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