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Stefan Zweig - Gesammelte Werke

Stefan Zweig - Gesammelte Werke

Titel: Stefan Zweig - Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
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zitterndes Haar. Sie schaute auf, verwirrt und zerfahren; mit mechanischer Gebärde ordnete sie sich ihre Haare und erhob sich mit umherirrenden Augen, als müßte sie sich wieder zurechtfinden in der Wirklichkeit. Schlaffer und müder wurden ihre Züge und nur in den Augen flackerte noch der dunkle Schein. Brüsk raffte sie sich zusammen und stieß die Worte rasch hervor, um zu verbergen, daß noch das Schluchzen in ihnen vibrierte. »Ich muß jetzt gehn. Es ist spät. Und mein Vater erwartet mich.«
    Mit harter Gebärde schüttelte sie grüßend den Kopf, raffte ihre Sachen zusammen und wandte sich zum Gehen. Aber der alte Mann, der sie mit seinen sicheren verstehenden Blicken beobachtet hatte, rief sie noch einmal zurück. Mühsam wandte sie sich um, denn in den Augen leuchtete ein feuchter Schimmer von Tränen. Und wieder faßte der alte Mann mit seiner bezwingenden innigen Gebärde ihre beiden Hände und sah sie an. »Esther, ich weiß, du willst jetzt gehen und nicht mehr wiederkommen. Du glaubst mir und glaubst mir nicht, denn eine geheime Angst betrügt dich.«
    Er fühlte, wie ihre Hände sich sanfter und vertrauender in den seinen lösten. Und er fuhr zuversichtlicher fort. »Komm aber wieder, Esther! Wir wollen alle Dinge ruhen lassen, die hellen und die traurigen. Morgen werden wir mit dem Bilde beginnen und mir ist, als wollte es gelingen. Und sei nicht traurig mehr, laß das Vergangene schlafen und rüttle nicht daran. Morgen wollen wir mit neuer Arbeit beginnen und mit neuer Hoffnung. Nicht wahr, Esther?«
    Sie nickte unter Tränen. Und sie trug die Ungewißheit und Bangigkeit vor ihrem Leben wieder nach Hause zurück, wie vordem, nur mit dem Bewußtsein tieferer Fülle und vielfacheren Inhalts, als sie bisher gemeint.
    Der alte Mann blieb in tiefem Sinnen zurück. Der Glaube an das Wunder war ihm nicht fremd geworden, aber das Wunder war ihm viel feierlicher und göttlicher erschienen, da es ihm nur ein Spiel des Lebens von göttlicher Hand dünkte. Und er entsagte dem Gedanken, Glauben an mystische Verheißungen in einem Antlitz aufleuchten zu lassen, dessen Seele vielleicht schon zu verzagt war, um noch zu glauben. Nicht mehr überheben wollte er sich und Mittler Gottes sein, sondern nur schlichter Diener, der ein Bild nach bestem Mühen schafft und es demütig am Altare niederlegt, sowie ein andrer eine Gabe. Er fühlte den Fehler, den Zeichen nachzugehen und sie zu suchen, statt zu warten, bis ihre Stunde käme und sie sich ihm offenbarten…
    Tiefer und tiefer neigte sich sein demütiges Herz. Warum hatte er Wunder wirken wollen an diesem Kinde, die ihm niemand geheißen? War es nicht genug Gnade, daß in sein Leben, das schon leer und kahl wurzelte wie ein alter Stamm, der nur noch mit den Ästen sehnsüchtig ins Blau aufgriff, ein andres junges Leben getreten war, das sich ängstlich und vertrauensvoll an ihn schmiegte? Ein Wunder des Lebens war ihm geschehen, das fühlte er; die Gnade war ihm geworden, die Liebe, die seine späten Tage noch überflammte, geben und lehren zu dürfen, sie einzusenken wie einen Samen, der noch wundersam entblühen kann. Hatte ihm das Leben nicht genug damit gegeben? Und hatte ihm nicht Gott den Weg gewiesen, auf welchem er ihm dienen sollte? Eine Gestalt hatte er seinem Bilde ersehnt und, sie war ihm begegnet; war dies nicht Gottes Wille, daß er sie zum Bildnis schüfe, und nicht, daß er ihre Seele einem Glauben zuführte, den sie vielleicht nie würde verstehen können? Tiefer und tiefer neigte sich sein demütiges Herz.
    Der Abend kam in sein Zimmer und die Dunkelheit. Der alte Mann stand auf; er fühlte eine Unrast und ein Bangen in sich, wie selten in seinen späten Tagen, die sonst so lind waren wie kühle klärende Herbstsonne. Langsam entzündete er das Licht. Dann ging er hin zum Schrank und suchte ein altes Buch. Sein Herz war aller Unrast müde. Er nahm die Bibel, küßte sie mit bebender Inbrunst; dann schlug er sie auf und las bis in die späte Nacht…
     
    Das Bild wurde begonnen. Esther saß nachdenklich zurückgelehnt in einem weichen, wohligen Lehnstuhle und hörte bald den erzählenden Worten des alten Malers zu, der ihr mit allerhand Geschichten aus seinem und anderer Leben die eintönigen Stunden gleichmäßigen Sitzens zu vertreiben suchte, bald träumte sie gelassen in die tiefe Stube hinein, deren Wände mit Gobelins, Bildern und Zeichnungen geschmückt immer wieder ihren Blick anzogen. Die Arbeit ging nicht rasch vonstatten. Der Maler

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