Stefan Zweig - Gesammelte Werke
fühlte, daß alle diese Studien, die er machte, nur Versuche seien und noch nicht die endgültige überzeugende Stimmung. Es fehlte ihm noch etwas in dem Gedanken seiner Skizzen, das er in Worten und Begriffen sich nicht klären konnte, tiefinnerlich jedoch mit solcher Deutlichkeit empfand, daß ihn oft eine fieberhafte Eile von Blatt zu Blatt trieb, die er dann genau miteinander verglich, immer aber unzufrieden, so getreulich seine Schöpfungen auch sein mochten. Zu Esther sprach er nicht davon. Aber es war ihm, als läge in ihrem harten Zuge, der sich selbst in den Augenblicken sanfter Träumerei nie ganz von ihren Lippen ablöste, ein Widerspruch gegen die milde Erwartung, die seine Madonna verklären sollte, als sei noch zuviel kindhafter Trotz in ihr, der noch nicht reif sei, die süße Schwere des Muttergedankens zu tragen. Er fühlte, daß Worte ihr nicht recht die Düsterkeit würden abringen können, daß sich nur von innen diese Härte würde mildern können. Aber diese weiche, frauliche Regung blieb ihrem Antlitz fern, wenn auch die ersten Frühlingstage ihr rotes Sonnengold durch alle Fensterritzen ins Zimmer warfen und die schöpferische Regung einer ganzen Welt verkündeten, wenn alle Farben auch weicher und tiefer zu werden schienen so wie die Luft, die warm durch die Gassen wallte. Schließlich ermattete der Maler. Der alte Mann war erfahren und kannte die Grenzen seiner Kunst, deren Überschreitung er nicht erzwingen konnte. Er gab den Plan auf, so wie er ihn gefaßt hatte, rasch und der lauten Stimme einer plötzlichen Intuition gehorchend. Und nachdem er die Möglichkeiten gegeneinander abgewogen hatte, entschloß er sich, in Esther nicht den Gedanken der Verkündigung zu malen, da ihr Antlitz nicht die Schauer der ersten Zeichen der gläubig erwachenden Weiblichkeit trug, sondern sie als Madonna mit dem Kinde zu schaffen, dem schlichtesten und tiefsten Symbole seiner Gläubigkeit. Und er wollte sogleich damit beginnen, denn die Verzagtheit begann sich wieder in seiner Seele einzufinden, da der Glanz der erträumten Wunder mählich und mählich mehr verblaßt war, ja schon fast in die schwere, lastende Dunkelheit gesunken. Und ohne Esther zu verständigen, löste er die Leinwand, die einige flüchtige Spuren voreiliger Versuche trug ab und setzte eine neue an ihre Stelle, wie er sich überhaupt mühte, dieser neuen Vorstellung in sich freien Weg zu bahnen.
Als Esther am nächsten Tage sich in gewohnter Weise niedergelassen hatte und sanft zurückgelehnt auf den Beginn der Arbeit wartete, die ihr gar nicht unwillkommen war, sondern in die Armut ihres einsamen Tages reiche Worte und freudige Minuten säte, hörte sie zu ihrer Überraschung die Stimme des Malers nebenan in freundlicher Wechselrede mit einer derben, bäuerlichen Frauenstimme, die sie nicht kannte. Neugierig horchte sie hin, ohne aber deutliches vernehmen zu können. Bald verstummte die Frauenstimme, eine Tür fiel ins Schloß und schon trat der alte Mann herein und auf sie zu, etwas Helles in den Armen tragend, das sie beim ersten Anblick nicht erkannte. Und vorsorglich legte er ihr ein kleines, nacktes, derbes Kind von mehreren Monaten in den Schoß, das sich anfänglich unruhig bewegte, dann aber unbeweglich blieb. Esther sah mit erstarrten Augen den alten Mann an, von dem sie so sonderbaren Scherz nicht erwartet hatte. Doch dieser lächelte nur und schwieg. Und als er sah, daß sich ihre ängstlich fragenden Blicke nicht von ihm abwenden wollten, erklärte er ihr ruhig und mit bittendem Tone seine Absicht, sie mit dem Kinde auf dem Schoße zu malen. Die ganze Herzlichkeit und Güte seiner Augen legte er in diese Bitte. Die tiefe väterliche Liebe, die er zu diesem fremden Mädchen gefaßt hatte und das innige Vertrauen auf ihr unruhiges und gläubiges Herz durchleuchteten seine Worte und noch sein beredtes Schweigen.
Esthers Gesicht war blutig überloht. Eine unbändige innere Scham zerquälte sie. Kaum wagte sie mit einem ängstlichen Seitenblick das kleine, blühende, nackte Kind zu betrachten, das sie auf ihren erzitternden Knieen widerwillig hielt. Die Strenge des ganzen Volkes, in dessen Abscheu der Nacktheit sie erzogen war, ließen sie dieses gesundfröhliche und jetzt ruhig schlummernde Kind mit Ekel und geheimer Furcht betrachten; sie, die unbewußt vor sich selbst ihre Nacktheit verhüllte, schauerte zurück vor der Berührung dieses weichen, rötlichen Fleisches wie vor einer Sünde. Eine Angst war in ihr, und sie
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