Stefan Zweig - Gesammelte Werke
Selbstdarstellung als die spontanste und leichteste Aufgabe eines jeden Künstlers erscheinen. Denn wessen Leben kennt der Gestalter besser als sein eigenes? Jedwedes Geschehnis dieser Existenz ist ihm gewärtig, das Geheimste bewußt, das Verborgenste von innen offenbar – so brauchte er, um »die« Wahrheit seines Daseins und Gewesenseins zu berichten, keine andere Anstrengung, als das Gedächtnis aufzublättern und die Lebensfakten abzuschreiben – ein Akt also, kaum mühevoller, als im Theater den Vorhang über schon gestaltetem Schauspiel aufzuziehen, die abschließende vierte Wand zwischen sich und der Welt zu entfernen. Und noch mehr! Sowenig Photographie malerisches Talent erfordert, weil ein phantasieloses, bloß mechanisches Einfangen einer schon geordneten Wirklichkeit, scheint die Kunst der Selbstdarstellung eigentlich gar keinen Künstler zu bedingen, nur einen rechtschaffenen Registratur; prinzipiell vermag ja auch jeder Beliebige sein eigener Selbstbiograph zu werden und seine Fährnisse und Schicksale literarisch zu gestalten.
Aber die Geschichte belehrt uns, daß niemals einem gewöhnlichen Selbstdarsteller mehr gelungen ist, als bloße Zeugnisleistung über Tatsachen, die ihm der pure Zufall verstattete, mitzuerleben; das innere Seelenbild aus sich selbst zu erschaffen, fordert dagegen immer den geübten, schauensmächtigen Künstler, und selbst unter ihnen wurden nur wenige diesem äußersten und verantwortungsvollsten Versuche vollendet gerecht. Denn kein Weg erweist sich als dermaßen ungangbar im Zwitterlicht zweifelhafter Irrlichtserinnerungen wie der Niederstieg eines Menschen von seiner offenbaren Oberfläche ins Schattenreich seiner Tiefen, aus seiner atmenden Gegenwart in seine überwachsene Vergangenheit. Wieviel Verwegenheit muß er aufbringen, um vorbei an seinen eigenen Abgründen, auf dem engen, glitschigen Gang zwischen Selbsttäuschung und willkürlichen Vergeßlichkeiten hinabzutasten in jene letzte Einsamkeit mit sich selbst, wo, wie bei Faustens Gang zu den Müttern, die Bilder des eigenen Lebens nur noch als Symbole ihres einstmaligen wirklichen Daseins »reglos ohne Leben« schweben! Welch heroischer Geduld und Selbstsicherheit wird er bedürfen, ehe er das erhabene Wort berechtigt auszusprechen vermag »Vidi cor meum«, »Ich habe mein eigenes Herz erkannt!« Und wie mühsam die Rückkehr vom Innersten dieses Innern dann wieder empor in die widerstrebende Welt der Gestaltung, von der Selbstschau zur Selbstdarstellung! An nichts vermag man die unermeßliche Schwierigkeit solchen Unterfangens deutlicher zu erweisen als an der Seltenheit ihres Gelingens: die zehn Finger der Hand zählen die Menschen schon nach, denen seelenplastisches Eigenbildnis in geschriebenem Worte gelungen, und selbst innerhalb dieser relativen Vollendungen, wieviel Lücken und Sprünge, wieviel künstliche Ergänzungen und Verkleisterungen! Gerade das Naheliegendste erweist sich in der Kunst immer als das Schwierigste, das scheinbar Leichte als die gewaltigste Aufgabe: keinen Menschen seiner Zeit und aller Zeiten hat der Künstler mehr Not, wahrhaftig zu gestalten, als sein eigenes Ich.
Was aber drängt dennoch von Geschlecht zu Geschlecht immer wieder neue Versucher zu dieser vollendet kaum lösbaren Aufgabe? Ein elementarer Antrieb zweifellos und tatsächlich dem Menschen zwanghaft zugeteilt: das eingeborene Verlangen nach Selbstverewigung. In Fließendes gestellt, von Vergängnis umschattet, zu Wandlung und Verwandlung bestimmt, fortgerissen von der unaufhaltsam strömenden Zeit, ein Molekül innerhalb von Milliarden, sucht jeder unwillkürlich (dank der Intuition der Unsterblichkeit) sein Einmal und Niemehrwieder in irgendeiner dauernden, ihn überdauernden Spur zu erhalten. Zeugen und Sichbezeugen, das meint im tiefsten Grunde eine und die gleiche urtümliche Funktion, ein und dasselbe identische Bestreben, wenigstens eine flüchtige Kerbe im beharrlich weiterwachsenden Stamme der Menschheit zu hinterlassen. Jede Selbstdarstellung bedeutet darum nur die intensivste Form eines solchen Sich-bezeugen-Wollens, und ihre ersten Versuche entraten noch der Kunstform des Bildes, der Hilfe der Schrift; Steinblöcke über einem Grab geschichtet, Tafeln, die in ungelenken Keilen verschollene Taten rühmen, geritzte Holzrinden – in dieser quadernen Sprache redet die erste Selbstdarstellung einzelner Menschen zu uns durch den hohlen Raum von Jahrtausenden. Unerforschlich sind längst diese Taten geworden,
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