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Stefan Zweig - Gesammelte Werke

Stefan Zweig - Gesammelte Werke

Titel: Stefan Zweig - Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
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tauschen wie der Schauspieler Gewand und Rolle. Wozu auch sich festlegen: er will ja nichts haben und behalten, nichts gelten und nichts besitzen, denn nicht ein Leben, sondern Hunderte in dieser einen Existenz zu leben verlangt seine ungestüme Leidenschaft. »Mein größter Schatz ist«, sagt er stolz, »daß ich mein eigener Herr bin und nicht Angst vor dem Unglück habe« – eine männliche Devise, die diesen Tapfern mehr adelt als sein abgeborgter Chevalierstitel de Seingalt. Er denkt nicht daran, was die andern über ihn denken, er saust über ihre moralischen Hürden mit bezaubernder Sorglosigkeit hinweg; nur im Schwung, im Getriebensein spürt er die eigene Daseinslust, nie im Ruhen und behaglichen Rasten, und dank diesem leichten und ludrigen Dahin über alle Hemmungen, aus seiner Flugperspektive kommen ihm darum alle die braven Menschen recht lächerlich vor, die sich warm eingesponnen haben in ihre eine und immer dieselbe Beschäftigung: weder die Kriegsherren imponieren ihm, schnauzbärtig ihren Säbel klirrend und doch einknickend vor dem Anschrei ihres Generals, noch die Gelehrten, diese Holzwürmer, die Papier, Papier, Papier fressen aus einem Buch ins andere hinein, noch die Geldmenschen, ängstlich sitzend auf ihren Geldsäcken und schlaflos vor ihren Truhen – ihn lockt kein Stand, kein Land, kein Gewand. Keine Frau kann ihn in ihren Armen, kein Herrscher in seinen Grenzpfählen, kein Beruf in seiner Langeweile halten: auch hier bricht er kühn alle Bleidächer durch, lieber sein Leben wagend als es versauernd, übermütig im Glück und gleichmütig im Unglück, immer und überall aber voll Mut und Zuversicht. Denn Mut, das ist der rechte Kern von Casanovas Lebenskunst, die Begabung seiner Begabungen: er sichert nicht, sondern er wagt sein Leben; hier wirft sich einmal inmitten der Vielen und Vorsichtigen einer auf, der wagt, der alles wagt, sich selbst und jede Chance und jede Gelegenheit. Das Schicksal aber gibt den Frechen mehr als den Fleißigen, den Groben lieber als den Geduldigen, und so mißt es diesem einen Maßlosen mehr zu als sonst einem ganzen Geschlecht; es packt und wirft ihn auf und nieder, rollt ihn durch die Länder, schnellt ihn nach oben und stellt ihm im schönsten Sprunge das Bein. Es füttert ihn mit Frauen und narrt ihn am Spieltisch, es kitzelt ihn mit Leidenschaften und prellt ihn mit Erfüllungen: nie aber läßt es ihn los und in Langeweile fallen, immer findet und erfindet das Unermüdliche diesem Unermüdlichen, seinem rechten und spielwilligen Partner, neue Wendung und Wagnis. Und so wird dieses Leben weit, farbig, vielfach, abwechslungsreich, phantastisch und bunt wie kaum eines in Jahrhunderten, und bloß, indem er es berichtet, wird er einer der unvergleichlichsten Dichter des Daseins, freilich nicht durch seinen Willen, sondern durch jenen des Lebens selbst.

Philosophie der Oberflächlichkeit
    Ich habe als Philosoph gelebt.
    Casanovas letzte Worte
     
    E iner so breit ausströmenden Weite des Lebens entspricht freilich fast immer ein geringer seelischer Tiefgang. Um flink und behend wie Casanova auf allen Wassern tanzen zu können, muß man vor allem leicht sein wie Kork. Und so liegt, genau besehen, das Spezifikum seiner vielbewunderten Lebenskunst gar nicht in einer besonders positiven Tugend und Kraft, sondern vor allem in einem Negativum: in dem völligen Unbelastetsein von jeder ethischen und moralischen Hemmung. Weidet man dieses saftige, blutüberfüllte, leidenschaftstrotzende Stück Mensch psychologisch aus, so konstatiert man zunächst das restlose Fehlen aller sittlichen Organe. Herz, Lunge, Leber, Blut, Gehirn, Muskeln und nicht zum mindesten die Samenstränge, all das ist bei Casanova auf das kräftigste und normalste entwickelt, nur dort, an jenem seelischen Punkt, wo sich sonst sittliche Eigenheiten und Überzeugungen zum geheimnisvollen Gebilde des Charakters verdichten, überrascht einen bei Casanova ein vollkommenes Vakuum, ein luftleerer Raum, Null, nichts. Mit allen Säuren und Laugen, mit Lanzetten und Mikroskopen vermag man in diesem sonst erzgesunden Organismus nicht einmal ein Rudiment jener Substanz nachzuweisen, die man Gewissen nennt. Und damit erklärt sich das ganze Geheimnis von Casanovas Leichtigkeit und Genie: er hat, der Glückliche, nur Sinnlichkeit und keine Seele. Nichts von dem, was anderen Menschen heilig oder nur wichtig scheint, gilt ihm nur einen Skudo. Versucht, ihm moralische oder zeitliche Bindungen zu erklären – er

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