Stefan Zweig - Gesammelte Werke
weil dort das Wollüstige sich zum Künstlerischen sublimiert, denn, obzwar sinnlich wie nur einer, ist dieser breitbrüstige Bursche Casanova keineswegs ein grober Sinnenmensch. Eine Arie, kunstvoll gesungen, kann ihn bezaubern, ein Gedicht ihn beglücken, ein kultiviertes Gespräch wärmt erst richtig den Wein; mit klugen Männern über ein Buch zu reden, schwärmerisch an eine Frau gelehnt, vom Dunkel einer Loge her Musik zu lauschen, das steigert ihm zauberisch die Daseinslust. Aber täuschen wir uns darum nicht: diese Liebe zur Kunst reicht bei Casanova nie über das Spielhafte, die gefällige Dilettantenfreude hinaus. Der Geist muß für ihn dem Leben dienen, nie das Leben dem Geist: so achtet und betrachtet er die Kunst nur als Aphrodisiakum, als schmeichlerisches Mittel, die Sinne zu erregen, als feineres Vorvergnügen des groben Genusses im Fleische. Er wird gern ein Gedichtchen machen, um es mit einem Strumpfband einer begehrten Dame zu überreichen, er wird Ariost rezitieren, um sie in Feuer zu versetzen, über Voltaire und Montesquieu sehr geistreich mit Kavalieren plaudern, um sich intellektuell zu legitimieren und einen Handstreich auf ihre Börse geschickt zu maskieren – nie aber begreift dieser südländische Sensualist die Kunst, die Wissenschaft, sobald sie Selbstzweck und Weltsinn werden will. Aus Instinkt lehnt dieser Spielmensch die Tiefe ab, weil er nur Oberfläche will, Mensch der Minute und der raschen Verwandlung. Veränderung ist ihm das »Salz des Vergnügens« und Vergnügen wiederum der einzige Sinn der Welt.
Leicht also wie eine Eintagsfliege, leer wie eine Seifenblase und nur funkelnd vom Gegenlicht der Geschehnisse, so flirrt er hin durch die Zeit: kaum kann man sie jemals recht fassen und halten, diese unablässig sich ändernde Seelengestalt und noch weniger ihren Kern vom Charakter auslösen. Wie ist Casanova eigentlich, gut oder böse? Ehrlich oder verlogen, ein Held oder ein Lump? Nun – ganz, wie es die Stunde will: er färbt ab von den Umständen, er verwandelt sich mit den Verwandlungen. Gut bei Kasse, findet man keinen vornehmeren Kavalier als ihn. Mit bezauberndem Übermut, einer strahlenden Grandezza, liebenswürdig wie ein hoher Prälat und locker wie ein Page wirft er das Geld mit vollen Händen um sich – »Sparsamkeit war nie meine Sache« –, lädt überschwenglich, gleich einem hochgeborenen Gönner, den Fremdesten an seinen Tisch, schenkt ihm Dosen und Dukatenrollen, gewährt ihm Kredit und umsprüht ihn mit einem Feuerwerk von Geist. Schlottern aber die seidenen Pludertaschen leer, knistern im Portefeuille die unbezahlten Wechsel, dann würde ich jedem abraten, dem Galantuomo beim Kartenspiel Paroli zu halten. Nein, er ist kein guter Charakter und ist auch kein schlechter – er ist gar keiner. Er handelt weder moralisch noch unmoralisch, sondern naturhaft amoralisch: seine Entschließungen springen glattweg aus dem Gelenk, seine Reflexe aus den Nerven und Adern, völlig unbeeinflußt von Vernunft, Logik und Sittlichkeit. Eine Frau wittern, und die Ader hämmert schon wie toll, blindwütig rennt er vorwärts in der Richtung seines Temperaments. Einen Spieltisch sehen, und die Hand zuckt ihm in die Tasche: ohne daß er es weiß und will, klirrt sein Geld schon auf dem Tisch. Versetzt ihn in Zorn, und die Venen springen auf, als wollten sie platzen, bitterer Speichel gerinnt ihm im Mund, die Augen rollen ihr Rot heraus, die Faust krampft sich, und er schlägt blindwütig zu, er stößt in die Richtung seines Zorns, »comme un bue«, wie sein Landsmann und Bruder Benvenuto Cellini sagt, ein tollwütiger Stier. »Zur Selbstüberwindung bin ich nie imstande gewesen und werde es niemals sein.« Er denkt nicht nach und denkt nicht voraus; erst in der Not schießen ihm listige und oft geniale Eingebungen rettend zu, nie aber bereitet er planend, berechnend – dazu wäre er zu ungeduldig – auch nur die kleinste Aktion vor. Hundertmal kann man’s in seinen Memoiren bestätigt finden, daß alle entscheidenden Handlungen, die dümmsten Possenstreiche wie die witzigsten Gaunereien, aus der gleichen Schußlinie einer plötzlich explodierenden Laune stammen, nie aus geistigem Kalkül. Mit einem Ruck wirft er eines Tages den Rock des Abbé ab, mit einem Spornstoß reitet er plötzlich als Soldat zur feindlichen Armee hinüber und gibt sich gefangen, er fährt nach Rußland oder Spanien einfach der Nase nach, ohne Stellung, ohne Empfehlung, ohne sich selbst gefragt zu
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