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Stefan Zweig - Gesammelte Werke

Stefan Zweig - Gesammelte Werke

Titel: Stefan Zweig - Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
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übertreiblich und phantasiert Ewigkeiten in unsere irdischen Beziehungen hinein. Casanova, der nie über den Rand des Körperlichen hinaus schwelgt, hat es darum leicht, zu halten, was er verspricht, er gibt aus dem prachtvollen Magazin seiner Sinnlichkeit Lust gegen Lust, Leib gegen Leib, und gerät niemals in Seelenschuld. Darum fühlen sich auch seine Frauen post festum nicht in platonischen Erwartungen betrogen, denn gerade weil dieser scheinbar Frivole keine anderen Entzückungen als die Spasmen des Geschlechts von ihnen fordert, weil er sie nicht in Unendlichkeiten des Gefühls hinaufredet, wird er ihnen immer Ernüchterung ersparen. Es steht jedem frei, solche Art der Erotik niedere Liebe, bloß geschlechtliche, hauthafte, seelenlose und animalische zu nennen, aber man rüttle nicht an ihrer Redlichkeit. Denn handelt nicht wirklich dieser lockere Luftikus mit seinem offenen und kerzengeraden Habenwollen wahrhafter und wohltätiger an den Frauen als die romantischen Schwärmer? Während hinter Goethes und Byrons Lebensweg eine Unzahl Frauen als zerbrochene, verbogene, zerschellte Existenzen zurückbleiben, eben weil Naturen höherer und kosmischer Art in der Liebe unwillkürlich das Seelische einer Frau so ausweiten, daß sie dann, dieses feurigen Hauchs nicht mehr teilhaftig, ihre irdische Form nicht mehr finden, richtet die Zunderhitzigkeit Casanovas eigentlich herzlich wenig Seelenschaden an. Er schafft keine Niederbrüche, keine Verzweiflungen, er hat viele Frauen glücklich gemacht und keine hysterisch, alle kehren sie aus dem rein sinnlichen Abenteuer unbeschädigt in den Alltag zurück, entweder zu ihren Männern oder zu andern Geliebten. Er streift über sie alle nur wie ein tropischer Wind hinweg, daran sie aufblühen zu heißerer Sinnlichkeit. Er überglüht, aber versengt sie nicht, er erobert, ohne zu zerstören, er verführt, ohne zu verderben, und eben weil sich diese seine Erotik im festeren Gewebe der Epidermis abspielt und nicht im leichter zu beschädigenden der wirklichen Seele, zeitigen seine Eroberungen keine Katastrophen.
    Seine Passion kennt als bloß erotische nicht die Ekstase der äußersten einmaligen Leidenschaft. Man beunruhige sich deshalb nicht, wenn er furchtbar verzweifelt tut, sobald Henriette oder die schöne Portugiesin ihn verläßt, er wird nicht zur Pistole greifen, und tatsächlich, zwei Tage später finden wir ihn schon bei einer andern oder in einem Bordell. Kann die Nonne C. C. nicht mehr von Murano ins Kasino kommen, und erscheint an ihrer Stelle die Klosterschwester M. M., so gelingt die Tröstung überraschend geschwind, jede eine ersetzt jede andere, und so hat man’s nicht schwer, herauszufinden, daß er als echter Erotiker niemals vollkommen verliebt war in eine seiner vielen einzelnen Frauen, sondern in den ewigen Plural, in den unablässigen Wechsel, die Vielzahl der Abenteuer. Selbst glitscht ihm einmal das gefährliche Wort aus: »Schon damals fühlte ich dunkel, daß Liebe nur eine mehr oder weniger lebhafte Neugierde sei«, und diese Definition fasse man an, um ihn zu fassen, und breche das Wort Neugierde gut auseinander: Neu-Gierde, immer neue Gier nach immer Neuem, nach immer anderen Erfahrungen an immer anderen Frauen. Ihn reizt niemals das Individuum, sondern die Variante, die unablässig neue Kombination auf dem unerschöpflichen Schachbrett des Eros. Wie Einatmen und Ausatmen, so selbstverständlich und naturgemäß ist sein Nehmen und Lassen, und dies rein funktionelle Genießen erklärt, warum Casanova als Künstler eigentlich keine seiner tausend Frauen uns wahrhaft seelenplastisch macht: herzhaft gesagt, erregen alle seine Schilderungen den Verdacht, er habe allen seinen Geliebten gar nie recht ins Gesicht gesehen, sondern sie eben nur in certo punto, aus einer gewissen, höchst mittleren Perspektive betrachtet. Was ihn begeistert, ihn »entflammt«, sind nach echter Südländerart immer dieselben Dinge, die grobsinnlichen, bauerngewahrsamen, tastbar und in das Auge springenden Geschlechtsmomente des Weibes, immer und immer wieder (bis zum Überdruß) der »Alabasterbusen«, die »göttlichen Halbkugeln«, die »junonische Gestalt«, die immer wieder durch andern Zufall entblößten »geheimsten Reize«, genau dasselbe also, was einem geilen Gymnasiasten bei der Dienstmagd die Pupille kitzelt. So bleibt von den unzähligen Henrietten, Irenen, Babetten, Mariuccias, Ermelinen, Markolinen, Ignazias, Lucias, Esthers, Saras und Klaras (man müßte

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