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Stefan Zweig - Gesammelte Werke

Stefan Zweig - Gesammelte Werke

Titel: Stefan Zweig - Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
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sehr den eigenen Leib, sondern den der umfangenen Frau erschöpfen und entzücken. Nie lockt ihn wie seinen spanischen Widerpart das grobe und sportliche Gehabthaben, sondern einzig das Gegebenhaben. Deshalb wird jede Frau, die sich ihm hingegeben, mehr Frau, weil wissender, wollüstiger und hemmungsloser, und darum suchen sie auch sofort neue Gläubige dieses beglückenden Kults: die Schwester führt die jüngere zur linden Opferung an den Altar, die Mutter ihre Tochter dem zarten Lehrer zu, jede Geliebte drängt die andere in den Ritus und Reigen des schenkenden Gottes. Genau aus demselben unfehlbaren Instinkt der Weibschwesterschaft, mit dem jede von Don Juan Verführte die neu Umworbene (immer vergeblich!) als vor dem Feinde ihres Geschlechtes warnt, empfiehlt eifersuchtslos eine der andern Casanova als den rechten Vergöttlicher ihres Geschlechtes, und so, wie er über die einzelne Gestalt hinaus die Ganzheit des Weibes, lieben sie über ihn hinweg die Ganzheit des leidenschaftlichen Mannes und Meisters.

Die Jahre im Dunkel
    Wie oft habe ich in meinem Leben etwas getan, was mir selber zuwider war und was ich nicht begriff. Aber ich wurde durch eine geheime Macht getrieben, der ich bewußt keinen Widerstand leistete.
    Casanova in den Memoiren
     
    G erechterweise dürfen wir es den Frauen gar nicht vorwerfen, so widerstandslos dem großen Verführer verfallen zu sein: geraten wir doch selbst jedesmal, wenn wir ihm begegnen, in Versuchung, seiner lockenden und lodernden Lebenskunst zu erliegen. Denn es ist für keinen Mann leicht, Casanovas Memoiren ohne rabiaten Neid zu lesen, und in manchen ungeduldig unbefriedigten Augenblicken dünkt uns dieses Abenteurers tolle Existenz, sein mit vollen Händen zupackendes Raffen und Genießen, sein das ganze Dasein wild ansaugendes Epikureertum weiser und wirklicher als unser ephemeres Schweifen im Geiste, seine Philosophie lebensfülliger als alle mürrischen Lehren Schopenhauers und die steinkalte Dogmatik Vater Kants. Denn wie arm scheint unsere festgerammte, nur durch Verzicht gefestigte Existenz in solchen Sekunden, der seinen verglichen! Wir haben Vorurteile und Nachurteile, wir schleifen Kettenkugeln des Gewissens klirrend hinter jedem Schritt, Gefangene unserer selbst, und gehen darum mit schweren Füßen, indes dieses Leichtherz, dieser Leichtfuß alle Frauen faßt, alle Länder überfliegt und auf der sausenden Schaukel des Zufalls sich in alle Himmel und Höllen schnellt. Kein wirklicher Mann kann, er leugne es nicht, die Memoiren Casanovas lesen, ohne sich stümperhaft zu fühlen gegen den illustren Meister der Lebenskunst, und manchmal, nein, hundertmal wollte man lieber er sein als Goethe, Michelangelo oder Balzac. Lächelt man anfangs ein wenig kühl über die Schöngeistereien und breiten Radamontaden dieses philosophisch verkleideten Filous, so ist man im sechsten, im zehnten, im zwölften Bande schon geneigt, ihn für den weisesten Menschen und seine Philosophie der Oberflächlichkeit für die klügste und bezauberndste aller Lehren zu halten.
    Aber glücklicherweise bekehrt uns Casanova selbst von dieser vorzeitigen Bewunderung. Denn sein Register der Lebenskunst hat ein gefährliches Loch: er hat das Altern vergessen. Eine epikureische Genießertechnik wie die seine, einzig dem Sinnlichen zudrängend, ist ausschließlich auf junge Sinne, auf Saft und Kraft des Körpers aufgebaut. Und sobald die Flamme nicht mehr so munter im Blute brennt, verdampft sofort und erkaltet die ganze Philosophie des Genusses zu einem flauen, ungenießbaren Brei: nur mit frischen Muskeln, mit festen, weißblanken Zähnen kann man sich dermaßen des Lebens bemächtigen, aber wehe, wenn sie auszufallen beginnen und die Sinne versagen, dann versagt auch mit einemmal die gefällige, die selbstgefällige Philosophie. Für den groben Genußmenschen geht die Daseinskurve unfehlbar nach abwärts, denn der Verschwender lebt ohne Reserven, er verludert und verliert seine ganze Wärme an den Augenblick, indes der Geistmensch, der scheinbar Verzichtende, gleichsam in einem Akkumulator Wärme in beharrender Fülle in sich staut. Wer dem Geistigen sich verschworen hat, erfährt auch im Niederschatten der Jahre und oft bis in patriarchalische Zeit (Goethe!) Klärungen und Verklärungen; noch gekühlten Blutes steigert er das Dasein zu intellektuellen Erhellungen und Überraschungen, und für die verminderte Spannkraft des Leibes entschädigt das kühn aufschwingende Spiel der Begriffe. Der

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